18 Gänsehaut Stories
lange Zeit als ein Fremder, ehe man in Europa seine literarische Bedeutung erkannte. Heute gilt Poe auch in seiner Heimat als Klassiker der amerikanischen Literatur. Zahllose Legenden ranken sich um sein Leben. Er besuchte in London die Schule, studierte an der Universität von Virginia, ging 1827 zur Armee und 1830 für ein Jahr als Kadett nach West Point. Nach einem ernsthaften Zerwürfnis verstieß sein Vormund Allen den seelisch Labilen, der meist in großer Armut lebte, immer wieder an Alkoholismus und Drogensucht litt und an weitgehend ungeklärten Umständen in Baltimore starb. Seit 1833 fristete Poe ein kärgliches Leben als Schriftsteller, Journalist und Herausgeber literarischer Zeitschriften. Bis auf den heutigen Tag wurde Amerikas bedeutendster Dichter beim breiten Publikum im Gruselkabinett der »gothic novel« abgelegt, ein Mißverständnis, das Poes unbestrittenen literarischen Rang auf die Dauer nicht zu beeinträchtigen vermochte. Wenn Poe in unserem »Gruselkabinett« Aufnahme gefunden hat, so als Ahnherr und Klassiker einer Literaturgattung, die mit seinem Namen auf das allerengste verbunden ist: Daß Poe mehr war als ein beliebter Autor von Gruselgeschichten, steht außer Zweifel.
Ich verlange und erwarte nicht, daß man die höchst seltsame und doch einfache Geschichte, die ich hier niederschreiben will, glaubt. Es wäre auch töricht, dies zu tun, denn ich selbst vermag dem Zeugnis meiner Sinne kaum zu trauen. Doch bin ich weder wahnsinnig, noch habe ich geträumt. Morgen aber muß ich sterben und möchte darum heute meine Seele entlasten. Zu diesem Zweck will ich der Welt klar und bündig und ohne weitere Erörterungen eine Reihe rein häuslicher Begebenheiten vor Augen führen. Die Folgen dieser Begebenheiten haben mich dem Entsetzen, haben mich der Qual anheimgegeben und mich schließlich zugrunde gerichtet. Doch will ich nicht versuchen, sie weiter zu erklären. Mir haben sie ein Schaudern verursacht; anderen mögen sie vielleicht weniger schrecklich als sonderbar erscheinen. Später vielleicht wird ein denkender Geist meine Wahngebilde auf Selbstverständlichkeiten zurückführen – er wird, ruhiger, logischer und viel weniger nervös als ich, in all den Umständen, die ich nun mit Grausen erzähle, die gewöhnliche Folge ganz natürlicher Ursachen und Wirkungen erkennen.
Von früher Kindheit an war ich wegen meines gelehrigen, liebevollen Wesens bekannt. Die Zärtlichkeit meines Herzens war so ungewöhnlich, daß sie mich zum Gespött meiner Kameraden machte. Ich war ein großer Tierfreund, und meine Eltern gestatteten mir gütigst, eine ganze Anzahl solcher Lieblinge zu halten. Mit ihnen verbrachte ich den größten Teil meiner Zeit und fühlte mich nie so glücklich, als wenn ich sie fütterte und liebkoste. Diese Eigenheit meines Wesens wuchs mit den Jahren und war später im Mannesalter der Quell meiner größten Vergnügungen. Denen, die jemals Neigung für einen treuen und gelehrigen Hund gehabt haben, brauche ich wohl die Natur und die innige Befriedigung, die aus solch einer Liebhaberei entstehen kann, nicht weiter zu erklären. In der selbstlosen und aufopferungsfähigen Anhänglichkeit eines Tieres liegt etwas, das unmittelbar zum Herzen dessen spricht, der oft Gelegenheit gehabt hat, die Armseligkeit und Unbeständigkeit der Menschen – was Freundschaft und Treue angeht – zu erproben.
Ich heiratete früh und war glücklich, bei meiner Frau eine meinem Wesen entsprechende Gemütsart zu finden. Als sie meine Vorliebe für Haustiere bemerkte, ließ sie keine Gelegenheit
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