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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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glaub­te er, sei­nen Au­gen ge­gen­über zwei wil­de Au­gen zu er­schau­en, die ihn be­ob­ach­te­ten … in jä­her, hef­ti­ger Ban­gig­keit warf er den Kopf, die Haa­re ge­sträubt, zu­rück. Doch nein. Sei­ne Hand, die Stei­ne be­tas­tend, gab sich dar­über Re­chen­schaft; es war der Wi­der­schein der Au­gen des In­qui­si­tors, was er noch im­mer in den ei­ge­nen Au­gen be­wahrt und auf zwei Fle­cke der Mau­er über­tra­gen hat­te.
    Vor­wärts! Er muß­te nach je­nem Ziel has­ten, das er sich, zwei­fel­los in krank­haf­tem Wahn, als die Be­frei­ung vor­stell­te. Nach je­nen Schat­ten, von de­nen er kaum wei­ter ent­fernt war als et­wa drei­ßig Schrit­te. So setz­te er denn schnel­ler, auf den Kni­en, auf den Hän­den, auf dem Bauch, sei­nen Lei­dens­weg fort. Und bald war er in dem dunklen Teil die­ses er­schre­cken­den Gan­ges.
    Plötz­lich spür­te der Be­kla­gens­wer­te ei­ne Käl­te in den Hän­den, die er auf die Flie­sen stütz­te; das rühr­te von ei­nem star­ken Luft­zug her, der un­ter ei­ner Tü­re hin­durch­weh­te, bei der die bei­den Mau­ern en­de­ten. Gott! Das gan­ze Ich des kläg­li­chen Flücht­lings wur­de von dem Schwin­del ei­ner Hoff­nung durch­drun­gen. Von oben bis un­ten mus­ter­te er die Tü­re, oh­ne sie doch, in­fol­ge des Dun­kels rund um ihn, deut­lich un­ter­schei­den zu kön­nen. Er tas­te­te, kein Rie­gel, kein Schloß. Ei­ne Klin­ke! Er rich­te­te sich auf, die Klin­ke gab un­ter sei­nem Dau­men nach; die Tü­re öff­ne­te sich ge­räusch­los vor ihm.
    »Hal­le­lu­jah!« flüs­ter­te in ei­nem glü­hen­den Dank­ge­bet der Rab­bi, auf­recht auf der Schwel­le, bei dem An­blick, der sich ihm bot.
    Die Tü­re hat­te sich auf die Gär­ten un­ter ei­nem Ster­nen­him­mel ge­öff­net! Auf den Früh­ling, die Frei­heit, das Le­ben! Und von hier aus dehn­te es sich nach den na­hen Fel­dern, nach den Si­er­ras, de­ren win­dungs­rei­che Um­ris­se sich blau vom Ho­ri­zont ab­ho­ben. Dort, dort war das Heil! Oh! Nur flie­hen! Er wür­de die gan­ze Nacht durch die­sen Hain von Zi­tro­nen­bäu­men lau­fen, de­ren Düf­te ihm ent­ge­gen­schlu­gen. Ein­mal im Ge­bir­ge, wä­re er ge­ret­tet; der Wind be­leb­te ihn, sei­ne Lun­gen at­me­ten wie­der. Er hör­te, das Herz ge­wei­tet, das Ve­ni foràs des La­za­rus. Und um noch ein­mal den Gott zu seg­nen, der ihm die­se Barm­her­zig­keit spen­de­te, streck­te er die Ar­me vor sich aus, hob die Au­gen zum Fir­ma­ment; es war reins­te Ver­zückung.
    Da glaub­te er zu se­hen, wie der Schat­ten sei­ner Ar­me sich ge­gen ihn wen­de­te, er glaub­te zu spü­ren, wie die­se Schat­ten­ar­me ihn um­schlan­gen, ihn preß­ten, zu spü­ren, wie er an ei­ne Brust ge­drückt wur­de. Ja, ei­ne ho­he Ge­stalt er­hob sich vor ihm. Ver­trau­ens­voll senk­te er den Blick auf die­se Ge­stalt – und dann schwank­te er, starr­te er, den Blick ge­trübt, zit­ternd, die Ba­cken ge­schwellt, vor Ent­set­zen gei­fernd.
    Ein Grau­en! Er war in den Ar­men des Großin­qui­si­tors selbst, des ehr­wür­di­gen Pe­dro Ar­buez d’Es­pi­la, der ihn be­trach­te­te, die Au­gen von schwe­ren Trä­nen ge­füllt, wie ein gu­ter Hirt, der sein ver­irr­tes Schaf wie­der­fin­det …
    Der düs­te­re Pries­ter drück­te in ei­nem Auf­schwung von so glü­hen­dem Er­bar­men den un­glück­li­chen Ju­den an sein Herz, daß die Sta­cheln des mön­chi­schen Bü­ßer­hemds un­ter der Sou­ta­ne in die Brust des Do­mi­ni­ka­ners ein­dran­gen. Und wäh­rend der Rab­bi Aser Abar­ba­nel die Au­gen un­ter den Li­dern ver­dreh­te, vor Angst in den Ar­men des as­ke­ti­schen Dom Ar­buez rö­chel­te und un­deut­lich er­faß­te, daß al­le Pha­sen des un­heil­vol­len Abends nichts wa­ren als ei­ne wohl­vor­be­rei­te­te Fol­ter, die Fol­ter durch die Hoff­nung, flüs­ter­te der Großin­qui­si­tor im Ton er­grei­fen­den Vor­wurfs, nicht oh­ne Be­stür­zung im Blick, mit glü­hen­dem Atem­hauch ihm ins Ohr:
    »Wie, mein Kind! An der Schwel­le des Heils viel­leicht, hast du uns ver­las­sen wol­len?!«

 
Der schwarze Kater
von
Ed­gar Al­len Poe
     
     
    Ed­gar Al­len Poe (1809-1849) galt in sei­nem ame­ri­ka­ni­schen Ge­burts­land

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