18 Gänsehaut Stories
letzte.
Ohne zu zaudern also, wagte er sich über die Fliesen, hielt sich an der Mauer unter den Luken, um mit der farbigen Dunkelheit der Steine zu verschmelzen. Langsam schleppte er sich kriechend vorwärts – und unterdrückte einen Schrei, als eine frisch entzündete Wunde auf der Brust ihn stach.
Plötzlich drang das Geräusch einer Sandale, die sich näherte, im Widerhall dieser steinernen Allee bis zu ihm. Ein Beben schüttelte ihn, die Angst ließ seinen Atem stocken, sein Blick trübte sich. Nun? War es jetzt wirklich zu Ende? Zusammengekauert quetschte er sich in eine Mauerspalte und wartete, halbtot vor Angst.
Es war ein Spitzel, der es eilig hatte. Rasch hastete er, ein Folterwerkzeug zum Zerreißen der Muskeln in der Hand, die Kapuze gesenkt, eine entsetzliche Erscheinung, vorüber und verschwand. Das Grauen, dessen Umklammerung der Rabbi eben gespürt hatte und das gleichsam alle Funktionen des Lebens stocken ließ, bewirkte, daß er fast eine Stunde verharrte, ohne auch nur eine Bewegung machen zu können. In der Angst vor einem Übermaß an Foltern, falls er ergriffen werden sollte, kam ihm der Gedanke, in seine Zelle zurückzukehren. Doch die alte Hoffnung flüsterte ihm jenes göttliche Vielleicht in die Seele, das im schlimmsten Elend zu trösten vermag. Ein Wunder war geschehen. Daran durfte er nicht mehr zweifeln! Und er begann abermals der möglichen Rettung entgegenzukriechen. Von Schmerzen und Hunger erschöpft, vor Angst zitternd schleppte er sich weiter. Dieser Gang, diese Gruft schien sich geheimnisvoll zu dehnen! Und er, der immer weiterkroch, blickte beständig in das Dunkel dort hinten, wo der rettende Ausgang sein mußte!
Oh, oh, schon wieder tönten Schritte, diesmal aber langsamer, düsterer. Weiß-schwarze Gestalten, die Krempen der langen Hüte eingerollt, erschienen ihm; zwei Inquisitoren tauchten dort hinten aus der trüben Luft auf. Leise redeten sie miteinander und waren offenbar über einen wichtigen Punkt verschiedener Ansicht, denn ihre Hände gestikulierten.
Bei diesem Anblick schloß Rabbi Aser Abarbanel die Augen. Sein Herz pochte, als wollte es ihn töten, seine Lumpen waren von einem feuchten Todesschweiß durchtränkt, mit offenem Mund, unbeweglich blieb er längs der Mauer ausgestreckt, unter dem Schein einer Lampe, und flehte reglos zu dem Gott Davids.
Als die beiden Inquisitoren ihm gegenüber angelangt waren, machten sie unter dem Licht der Lampe halt – und das zweifellos durch einen Zufall, eine Folge ihres Gesprächs. Einer von ihnen betrachtete, während er seinem Gefährten zuhörte, den Rabbi. Und unter diesem Blick, dessen zerstreuten Ausdruck er zunächst nicht begriff, glaubte der Unglückliche zu spüren, wie die glühenden Zangen wieder in sein armes Fleisch bissen. Sollte er abermals zu Jammer und Wunde werden! Verzagend, mit stockendem Atem und blinzelnden Lidern, erzitterte er, als dieses Gewand ihn streifte. Doch, seltsam zugleich und natürlich, die Augen des Inquisitors waren offenbar die eines Mannes, der zutiefst mit dem beschäftigt ist, was er antworten sollte, völlig von dem Gedanken an das eingenommen, was er hörte; sie blickten starr – und schienen den Juden zu betrachten, ohne ihn zu sehen.
Und wirklich, nach wenigen Minuten setzten die beiden unheimlichen Gesprächspartner ihren Weg nach dem Ort fort, von dem der Gefangene gekommen war. Man hatte ihn nicht gesehen! Und so gründlich nicht gesehen, daß in dem furchtbaren Wirrwarr seiner Gefühle der Gedanke sein Hirn durchkreuzte: Bin ich am Ende schon tot, daß man mich nicht sieht? Ein greulicher Eindruck riß ihn aus seiner Erstarrung; als er die Mauer vor seinem Gesicht ansah,
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