18 - Geheimagent Lennet und die Doppelgängerin
zu
Der in Honfleur gemietete Peugeot 404 bremste vor einer Toreinfahrt der Universität von Paris, der Sorbonne. Kaum stand der Wagen, als schon ein Polizist auf ihn zusteuerte und zu schimpfen anfing: »He, Sie da! Haben Sie keine Augen im Kopf? Sie stehen im absoluten Halteverbot! Ihren Führerschein haben Sie wohl im Lotto gewonnen, was?« Sosthene, der am Steuer saß, zitterte am ganzen Leib, aber Lennet hielt nur seine Erkennungskarte aus dem Fenster.
»Lesen Sie erst mal", sagte er friedlich, »danach können Sie meinetwegen weiterbrüllen.«
»Oh, entschuldigen Sie vielmals", stotterte der Polizist, nachdem er die Karte überflogen hatte, die Lennet als Mitglied des FND auswies und ihm freie Hand in vielen Dingen gewährte. »Entschuldigen Sie, aber das habe ich doch nicht gewußt.«
»Man lernt eben immer noch dazu", antwortete Lennet leutselig. »Aber jetzt seien Sie bitte so lieb und klemmen mir trotzdem einen Strafzettel unter die Scheibenwischer, denn sonst fällt der Wagen hier allzusehr auf.« Es war halb fünf Uhr nachmittags. Vor einer Stunde waren Lennet und seine Freunde in Paris angekommen. Bellil war auf der Leuchtturminsel geblieben, und Sosthene hatte die Morgenrot mit der Abendrot in den Hafen von Honfleur geschleppt. Das erste, was Lennet in Paris gemacht hatte, war, eine Abendzeitung zu kaufen. Graziella hatte vor Wut mit den Zähnen geknirscht, als sie die Erklärungen ihrer Doppelgängerin zu Gesicht bekam.
»Und so was soll ich gesagt haben", hatte sie gezischt. »Ich! Daß wir unsere Freundschaft mit Frankreich aufgeben sollen! Für wie blöd halten die mich eigentlich? Mein armer Vater, wenn er das morgen an der Ebenholzküste lesen muß! So eine Gemeinheit!«
»Was meinen Sie, Graziella, wird Ihr Vater das da glauben?«
»Sicherlich nicht! Aber er bekommt vielleicht Angst, daß ich in der Gewalt dieser Leute bin und daß sie mich umbringen - wer weiß? Es ist gut, daß wir ihm das Telegramm geschickt haben. Das ist bestimmt noch vor diesen unverschämten Lügen bei meinem Vater, und er braucht sich nicht allzu viele Sorgen zu machen. Oh, Lennet, ich bin ja so froh, daß ich mit Ihnen zusammenarbeiten darf. Und wehe, wenn ich auf dieses Mädchen treffe! Ich glaube, ich mache Kleinholz aus ihr! Stellen Sie sich mal vor! Sie trägt zu allem Überfluß auch noch meine Kleider. Aber eines sage ich Ihnen, Lennet: Wenn diese Gans es wagt, das weiße Taftkleid für den Empfang auch nur anzurühren..., ich glaube, dann kenne ich mich selbst nicht mehr!« Lennet hatte versucht, Graziella ein wenig zu beruhigen und hatte dann in ihrer Wohnung angerufen. Aber dort meldete sich niemand.
»Sagen Sie, was machen Sie eigentlich normalerweise um diese Zeit", hatte er Graziella gefragt, »so zwischen fünf und sechs Uhr, wenn sie gerade nicht dabei sind, Frankreich und die Ebenholzküste zu retten?«
»Heute um fünf wäre ich in eine Vorlesung über die politischen Ideen der großen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts gegangen.«
»Mit wem?«
»Allein. Vielleicht hätte ich dort Bruno Bambara getroffen.
Das ist mein bester Freund.«
»Hat Bellil den gemeint, als er davon sprach, daß man Ihre Freunde aus Paris entfernt hat?«
»Ich nehme es an.«
»Ist die Vorlesung sehr voll?«
»Normalerweise ja. Da kommen natürlich hauptsächlich politisch interessierte Studenten hin. Manchmal gibt es sogar handfeste Krache zwischen rechts- und linksorientierten.«
»Also wir können davon ausgehen, daß die ,falsche' Graziella so eine Gelegenheit bestimmt nicht ausläßt, um auf sich aufmerksam zu machen!« Danach hatte Lennet mit dem FND telefoniert.
»Hier Agent 222. Ich brauche dringend einen Mini-Sender, einen Empfänger mit Tonband und fünf Sprechfunkgeräte.«
»Für welchen Auftrag?« hatte der Angestellte wissen wollen.
»Lassen Sie das erst mal offen. Ich unterschreibe dann die Empfangsbestätigung.«
»Okay. Kommen Sie die Sachen abholen?«
»Das geht nicht. Schicken Sie sie mir ins Restaurant Baizar.«
»Der Minisender, soll der für eine Frau oder einen Mann sein?«
»Für eine Frau.«
»Alles klar. In einer halben Stunde haben Sie die Sachen.« Als nächstes hatte sich Lennet auf die Suche nach einem geeigneten Unterschlupf gemacht.
»Herr Leutnant", hatte Sosthene da vorgeschlagen, »wie wäre es mit dem Hotel meiner Eltern in der Avenue Victor Hugo? Die Alten sind mit den meisten vom Personal aufs Land gefahren, und Victorine und Louis freuen sich bestimmt
Weitere Kostenlose Bücher