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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Hun­der­te je­ner ekel­haf­ten, feuch­ten In­sek­ten, wel­che man Holzwür­mer nennt, wim­mel­ten aus je­der Öff­nung, je­der Spal­te des Schä­dels her­vor, und ein paar der glän­zen­den, schlan­ge­n­ähn­li­chen Tau­send­füß­ler, wel­che die Na­tur­for­scher Geo­phi­len nen­nen, rin­gel­ten sich aus den Au­gen­höh­len. Un­will­kür­lich muß­te ich an Hei­nes Wor­te ge­den­ken, und fast wi­der­stre­bend, kämp­fend, als ver­möch­te ich nicht län­ger mei­nen ei­ge­nen Wil­len zu be­herr­schen, muß­te ich die furcht­ba­ren Zei­len wie­der­ho­len:
     
    »Ich seh’ die To­ten,
    Sie lie­gen un­ten in den schma­len Sär­gen,
    Die Hand’ ge­fal­tet und die Au­gen of­fen,
    Weiß das Ge­wand und weiß das An­ge­sicht,
    Und durch die Lip­pen krie­chen gel­be Wür­mer.«
     
    Kaum hör­te ich mei­ne ei­ge­nen Wor­te, als sie mich mit Ent­set­zen er­füll­ten. Ich schleu­der­te den Kopf in den Sarg zu­rück, sprang in zwei Sät­zen über die nächs­ten Kno­chen­hau­fen, oh­ne mir Zeit zu las­sen, die La­ter­ne mit­zu neh­men, schoß wie von Dä­mo­nen ge­jagt, durch die dunk le Müh­le, de­ren Stamp­fen und Rä­der ich zu hö­ren glaub­te, und mach­te erst Halt in dem großen Ho­frau­me der Fa brik, wo ich am Spring­brun­nen den mit­ge­brach­ten Arm wusch und mei­nen de­ran­gier­ten An­zug in Ord­nung brach­te. Dann schob ich mei­ne Beu­te un­ter mei­nen Pa­le­tot, nick­te dem Pfört­ner zu, der mich ver­drieß­lich brum­mend hi naus ließ, und trat bald dar­auf in mein Zim­mer mit ei­ner Mie ne, die ich für voll­kom­men ru­hig und furcht­los hielt.
    »Was, zum Kuckuck, fehlt dir, klei­ner Siem­sen?« rief Söl­ling, als er mich ein­tre­ten sah. »Du hast doch kei­ne Ge­spens­ter ge­se­hen, oder lei­dest du viel­leicht an dem be­gin­nen­den Kat­zen­jam­mer? Du bist auch höl­lisch lan­ge fort­ge­blie­ben; die Uhr ist ja fast zwölf.«
    »Siem­sen ist krank«, sag­te Nan­sen, »gebt ihm ein Glas Was­ser, ehe er ohn­mäch­tig wird.«
    »Aber schenkt es nicht zu voll«, schrie ein an­de­rer. »Siem­sen ver­trägt heu­te abend nicht viel mehr.«
    Jetzt war die Rei­he, zu tri­um­phie­ren, an mir. Rasch schlug ich den Pa­le­tot zu­rück und leg­te mei­ne Beu­te oh­ne ein Wort zu re­den mit­ten auf den Tisch.
    »Tod und Teu­fel!« schrie Söl­ling in ana­to­mi­scher Be­geis­te­rung. »Was für einen Arm hast du da er­wi­scht? Ja, Siem­sen weiß, was er tut. Seht nur, was für einen al­ler­liebs­ten Mäd­chen­arm er uns da ge­bracht hat. Seht nur die­se Hand! Wie fein und klein, und wie vor­treff­lich kon­ser­viert! Ich bin über­zeugt, daß der Hand­schuh Num­mer sechs­ein­halb ihr pas­sen wird. Gott mag wis­sen, wer die ge­küßt und ge­strei­chelt hat.«
    Der Arm wan­der­te un­ter all­ge­mei­ner Be­wun­de­rung von Hand zu Hand, und mit je­dem Wor­te, je­der Äu­ße­rung, die ich ver­nahm, stieg mein Ab­scheu und mein Ekel vor mir selbst. Ein Mäd­chen­arm! Was für ein Mäd­chen moch­te das ge­we­sen sein? Jung und schön ge­wiß, der Stolz ih­rer Brü­der und die Freu­de ih­rer El­tern. Früh war sie hin­ge­welkt, zärt­li­che Her­zen hat­ten sie ge­pflegt, lie­be­vol­le Ge­dan­ken und tröst­li­che Hoff­nung hat­ten ihr Kran­ken­la­ge­rer­wacht. Ru­hig und sanft war sie ent­schlum­mert, und den Frie­den, der sie im Le­ben be­glei­tet, hat­te man ihr im To­de mit­ge­ben wol­len, des­halb war der Sarg aus schwe­rem, dickem Ei­chen­hol­ze ge­zim­mert. Und die­se Hand, die so freund­lich zum Ab­schied und Le­be­wohl ge­winkt, die so man­chen treu­en Hän­de­druck emp­fan­gen, die man so ge­liebt und so ver­mißt hat­te, lag nun auf ei­nem Ana­to­mie­ti­sche, von Ta­baks­wol­ken um­wallt, von neu­gie­ri­gen Bli­cken be­glotzt, und ein Ge­gen­stand der ro­he­s­ten Spa­ße. O mein Gott, wie gräß­lich war das!
    »Hör«, sag­te Söl­ling, als die all­ge­mei­ne Be­geis­te­rung sich ge­legt hat­te, »den Arm muß ich ha­ben! Wenn er mit Chlor­kalk ge­bleicht und ein we­nig mit Ko­pal­fir­nis be­stri­chen wird, so wird er ein aus­ge­zeich­ne­tes Prä­pa­rat, den neh­me ich mit!«
    »Nein, das ge­be ich nicht zu. Es war un­recht von mir, ihn vom Kirch­ho­fe

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