18 Geisterstories
Hunderte jener ekelhaften, feuchten Insekten, welche man Holzwürmer nennt, wimmelten aus jeder Öffnung, jeder Spalte des Schädels hervor, und ein paar der glänzenden, schlangenähnlichen Tausendfüßler, welche die Naturforscher Geophilen nennen, ringelten sich aus den Augenhöhlen. Unwillkürlich mußte ich an Heines Worte gedenken, und fast widerstrebend, kämpfend, als vermöchte ich nicht länger meinen eigenen Willen zu beherrschen, mußte ich die furchtbaren Zeilen wiederholen:
»Ich seh’ die Toten,
Sie liegen unten in den schmalen Särgen,
Die Hand’ gefaltet und die Augen offen,
Weiß das Gewand und weiß das Angesicht,
Und durch die Lippen kriechen gelbe Würmer.«
Kaum hörte ich meine eigenen Worte, als sie mich mit Entsetzen erfüllten. Ich schleuderte den Kopf in den Sarg zurück, sprang in zwei Sätzen über die nächsten Knochenhaufen, ohne mir Zeit zu lassen, die Laterne mitzu nehmen, schoß wie von Dämonen gejagt, durch die dunk le Mühle, deren Stampfen und Räder ich zu hören glaubte, und machte erst Halt in dem großen Hofraume der Fa brik, wo ich am Springbrunnen den mitgebrachten Arm wusch und meinen derangierten Anzug in Ordnung brachte. Dann schob ich meine Beute unter meinen Paletot, nickte dem Pförtner zu, der mich verdrießlich brummend hi naus ließ, und trat bald darauf in mein Zimmer mit einer Mie ne, die ich für vollkommen ruhig und furchtlos hielt.
»Was, zum Kuckuck, fehlt dir, kleiner Siemsen?« rief Sölling, als er mich eintreten sah. »Du hast doch keine Gespenster gesehen, oder leidest du vielleicht an dem beginnenden Katzenjammer? Du bist auch höllisch lange fortgeblieben; die Uhr ist ja fast zwölf.«
»Siemsen ist krank«, sagte Nansen, »gebt ihm ein Glas Wasser, ehe er ohnmächtig wird.«
»Aber schenkt es nicht zu voll«, schrie ein anderer. »Siemsen verträgt heute abend nicht viel mehr.«
Jetzt war die Reihe, zu triumphieren, an mir. Rasch schlug ich den Paletot zurück und legte meine Beute ohne ein Wort zu reden mitten auf den Tisch.
»Tod und Teufel!« schrie Sölling in anatomischer Begeisterung. »Was für einen Arm hast du da erwischt? Ja, Siemsen weiß, was er tut. Seht nur, was für einen allerliebsten Mädchenarm er uns da gebracht hat. Seht nur diese Hand! Wie fein und klein, und wie vortrefflich konserviert! Ich bin überzeugt, daß der Handschuh Nummer sechseinhalb ihr passen wird. Gott mag wissen, wer die geküßt und gestreichelt hat.«
Der Arm wanderte unter allgemeiner Bewunderung von Hand zu Hand, und mit jedem Worte, jeder Äußerung, die ich vernahm, stieg mein Abscheu und mein Ekel vor mir selbst. Ein Mädchenarm! Was für ein Mädchen mochte das gewesen sein? Jung und schön gewiß, der Stolz ihrer Brüder und die Freude ihrer Eltern. Früh war sie hingewelkt, zärtliche Herzen hatten sie gepflegt, liebevolle Gedanken und tröstliche Hoffnung hatten ihr Krankenlagererwacht. Ruhig und sanft war sie entschlummert, und den Frieden, der sie im Leben begleitet, hatte man ihr im Tode mitgeben wollen, deshalb war der Sarg aus schwerem, dickem Eichenholze gezimmert. Und diese Hand, die so freundlich zum Abschied und Lebewohl gewinkt, die so manchen treuen Händedruck empfangen, die man so geliebt und so vermißt hatte, lag nun auf einem Anatomietische, von Tabakswolken umwallt, von neugierigen Blicken beglotzt, und ein Gegenstand der rohesten Spaße. O mein Gott, wie gräßlich war das!
»Hör«, sagte Sölling, als die allgemeine Begeisterung sich gelegt hatte, »den Arm muß ich haben! Wenn er mit Chlorkalk gebleicht und ein wenig mit Kopalfirnis bestrichen wird, so wird er ein ausgezeichnetes Präparat, den nehme ich mit!«
»Nein, das gebe ich nicht zu. Es war unrecht von mir, ihn vom Kirchhofe
Weitere Kostenlose Bücher