18 Geisterstories
und Henker ums Leben kamen, zu vertuschen.
Wir kennen aber die Namen mehrerer Richter, die Todesurteile ausgesprochen haben und deren Ende von grauenhalten Visionen begleitet war.
Catherine Crowe (Die dunkle Seite der Natur)
Rock Smitherson blickte an der Ecke Westbourne Road – Barbara Street auf seine Uhr und stellte erfreut fest, daß er noch eine halbe Stunde Zeit hatte, ehe er wieder in die Tretmühle mußte.
Das rote Fenster einer Kneipe leuchtete in der regnerischen Nacht: er warf einen argwöhnischen Blick rund um sich, denn die Vorschriften untersagten ihm, die Tavernen in der Nähe des Schauplatzes seiner täglichen Aufgabe zu besuchen.
»Dog-nose?« schlug der Schankwirt, ein dicker, pausbäckiger Mann mit Hängeschnurrbart vor. »Das ist das Richtige an einem solchen Abend.«
»Dog-nose«, antwortete Smitherson zustimmend.
Der Dicke maß sorgfältig den Gin, den Zucker und das heiße Wasser ab.
»Morgen ist es also soweit?«
»Um acht. Um acht Uhr zehn kommt der Anschlag hinaus, mehr als zehn Minuten früher als drüben in Newgate.«
»Hilary Channing?« fragte der Wirt, indem er nun für sich ein Glas Gin pur eingoß.
»Tatsächlich, so heißt er … He, Cuffy, noch ein Glas, und dann füllen Sie mein flaches Fläschchen mit Ihrer Medizin. Es ist gegen die Vorschrift, aber es tut ja jeder. Das geht einem schon an die Nerven, wenn man sie so früh sterben sieht.«
»Zwanzig, ein-, zweiundzwanzig Jahre, wie?« fragte Cuffy.
»Einundzwanzig genau. Einer von meinen eigenen Jungs ist kaum älter; nun, verstehen Sie, das greift einem ans Herz, und er sieht auch gar nicht bösartig aus. Blond wie reifes Korn und Augen wie’n junges Mädchen; wirklich ein Jammer!« Cuffy nickte schweigend und langsam mit seinem großen Kopf.
»Und wenn man bedenkt, daß ihm sein Verbrechen al les in allem ein Pfund zwei Shilling und eine kleine Damenuhr eingebracht hat, die er im Leihhaus für eine halbe Krone verpfändet hat! Lausig!«
»Eine alte Straßenhändlerin, die ja doch noch vor Jahresende gestorben wäre, so schwindsüchtig war sie, schreiben die Zeitungen«, fügte Cuffy hinzu.
»Und den hochtrabenden Beinamen ›Mustergefängnis‹ setzt man uns etwas zu oft vor«, knurrte Smitherson, seinem eigenen Gedankengang folgend. »Wenn es wirklich das wäre, müßte man Jack Ketch draußen lassen mit dem ausdrücklichen Befehl, seine Knoten in Gefängnissen zu machen, die keine Musterbeispiele sind. Es ist schändlich! Muster … Pah, die Kalkmilch und das Phenol, das man drinnen tonnenweise verbraucht, hindern nicht, daß es so schwarz und dreckig ist wie die anderen, nur ein bißchen übermalt. Pfui Teufel!«
Rock Smitherson, erster Hilfsaufseher im Mustergefängnis Pentonville, haßte seinen Beruf nicht mehr als seine Kollegen, aber an den schrecklichen Abenden vor Hinrichtungen empörte es ihn, einen gefesselten Menschen sterben sehen zu müssen, dem niemand in seiner höchsten Not zu Hilfe kommen würde, sogar wenn die arme, einem schmachvollen Tod bestimmte Kreatur ein Spitzbube war, der das Leben seines Nächsten geringgeachtet hatte.
»Der Herr hat gesagt: du sollst nicht töten!« schloß der Aufseher, den ein dritter und letzter Grog mit Wacholderschnaps noch empfindsamer gemacht hatte.
Er ging in flinkem Tempo durch die Bride Street, denn die halbstündige Galgenfrist war beinahe zu Ende.
Am Straßenende, wo die Roman Road beginnt und sich aus weitet, verdeckt die riesige Gefängnismauer den Himmel, an der nur die spärlichen Funzeln des Rundgangs sichtbar waren.
»Oh! Verzeihen Sie, Sir, ich hatte Sie nicht kommen sehen!« entschuldigte sich Smitherson. Er wäre fast mit einem Mann in dunklem Umhang, mit einem breitkrempigen Hut
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