18 Geisterstories
diesem Thema, auch die etwas wissen oder zu wissen glauben.«
»Der dort«, fuhr der Alte fort, als ob er nicht gehört hätte, und zeigte mit seinem dünnen faltigen Finger zu dem Guckloch:
»Der heutige, den kenne ich. Ich hatte Wache in seiner Zelle. Ja, ja, in der Zelle 8A, in der Sie heute nacht neben Hilary Channing schlafen werden.«
»Genug!« schrie Smitherson, bemüht, seiner Stimme Festigkeit zu verleihen.
»Vor sieben Jahren … vielleicht sind es schon acht«, fuhr Clevens unerbittlich fort. »Hat man denn hier überhaupt einen wahren Begriff von der Zeit – wo doch nur Leid- und Todesstunden schlagen? Sieben Jahre oder acht, ist ja unwichtig. Seinen Namen kenne ich nicht, und ich bezweifle sogar, ob ich ihn überhaupt gekannt habe. Sie ähneln einander so stark, die Männer, die hier am frühen Morgen auf diese Weise sterben, mit der schwarzen Kapuze über dem Kopf! Aber dieser hatte nicht ganz das gleiche Gesicht wie die anderen. An ihm war alles ungeheuer: seine Statur, sein Gesicht, seine Augen, ja besonders seine Augen.«
Rock war geschlagen. Es fiel ihm schwer, von Dingen reden zu müssen, die gemäß einem stillen Übereinkommen von allen mit Schweigen übergangen wurden; heute jedoch schien es ihm, als befreie er seine Schultern, indem er dem alten Pförtner plötzlich zustimmte, von einer allzu schweren Last.
»Es ist wahr«, sagte er, »sie kommen alle wieder, und den habe ich ganz deutlich erkannt!«
»Ein gebildeter Junge«, sagte Clevens. »Hier verblüffte er alle durch sein Wissen.«
»Er hieß Brown, besser gesagt, er ließ sich so nen nen«, sagte nun Smitherson, »denn das war ein falscher Name, und niemand gelang es je, seine Identität festzustellen.«
»Erinnern Sie sich, was er zu Pastor Parmington sagte, der ihm in den letzten Wochen beistand? In der Stunde seiner Hinrichtung sagte er ihm: ›Und Sie glauben wohl, daß jetzt alles zu Ende ist?‹«
»Und dabei hat er gelacht«, fügte Rock finster hinzu. »Sein Lachen war donnernd, es hallte durch den Gang, den er durchschritt, ehe er hinkam …«
»Er ist zurückgekommen!« murmelte Clevens. »Er kommt jedesmal in der Nacht vor einer Hinrichtung wieder. Fast als hätte er von Gott weiß welchen schrecklichen Herren einen Auftrag, sie holen zu kommen!«
»Genug!« rief Smitherson. »Jetzt ist es aber genug, Clevens: man könnte wirklich meinen, es macht den Menschen und Dingen Vergnügen, einem in solchen Nächten die Nerven zu zerreißen.«
Er blickte auf den Dienstplan und stieß einen großen Seufzer der Erleichterung aus.
»Wie ich sehe, löst mich Wächter Soames um zwei Uhr im 8A ab; so muß ich den Gefangenen nicht wecken und ihm sagen: »›Fassen Sie Mut!‹ Ah, ist das ein Beruf!«
Er traf Channing in tiefem Schlaf an; er atmete leicht, auf seinen ein wenig geöffneten Lippen lag ein leises Lächeln.
»Einundzwanzig Jahre«, murmelte er. »Was für ein langes und schönes Leben so ein Junge noch vor sich haben könnte, ein Leben voller Freuden. Und in wenigen Stunden wird man ihm ein paar Schaufeln ungelöschten Kalk über das Gesicht schütten … Mein Gott!«
Channing murmelte im Traum einige unverständliche Worte, dann begann er lautlos zu lachen.
»Und Gott weiß, von was für schönen Dingen er noch träumen kann«, setzte Smitherson seinen Monolog fort.
Er konnte in dem Armsessel, den ihm die Direktion für diese tragischen Stunden zuteilte, nicht schlafen, und als Soames ihn ablösen kam, fiel Smitherson eine Last vom Herzen.
Er begab sich schweren Schritts in den Wachraum, wo Feldbetten aufgeschlagen waren und wo er hoffte, doch noch ein wenig Ruhe zu finden.
Als er die Tür des recht angenehm eingerichteten Lokals aufstieß, konnte er nur schwer eine ärgerliche Geste unterdrücken.
Ein dicker Mann
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