18 Geisterstories
Schwarze aus den Inseln, die dort wahrsagte: ›Sie bringen den Tod‹, sagte sie mir, indem sie die Karten und dann meine Handlinien betrachtete. ›Was du nicht sagst, Alte‹, meinte ich, ›das tue ich – ganz hervorragend.‹ ›Du wirst ihn hundertmal bringen … das heißt, das hundertste Mal bringst du ihn nicht mehr.‹ Nun, es hat sich gehörig geirrt, das Mütterchen, und das wird der drüben bald bezeugen können!
Ich hab’ ihr einen Shilling gegeben, aber sie warf ihn in den Rinnstein und schrie: ›Durch den ersten wirst du den letzten verlieren!‹ Das habe ich natürlich nicht verstanden. Ist doch komisch, Smitherson, daß ich mit meinem schlechten Gedächtnis mich auf einmal an diese längst vergangenen Dinge erinnere.«
Die Glocke im Saal ließ vier dumpfe Schläge ertönen.
»Ich werde jetzt das Gerüst aufbauen«, sagte Duck. »Ich habe genug Zeit vor mir, und ich baue es allein auf, seit ich meine Helfer selbst bezahlen muß; so erspare ich mir eine ganz hübsche Summe.«
Smitherson wäre gern eingeschlafen, doch es gelang ihm nicht.
Er hörte im Wachzimmer die Hammerschläge, mit denen Duck nebenan in dem grausigen kleinen Saal die Querbalken fixierte, und dann das Knarren der Fallklappenhebel, deren einwandfreies Funktionieren er prüfen wollte.
Fünf Uhr.
In einer halben Stunde würde man die Reveille für die Wächter blasen müssen; die für die Gefangenen wurde wegen der Hinrichtung verschoben.
Rock wunderte sich über Ducks Ausbleiben; der erledigte gewöhnlich alles im Handumdrehen.
Er ging zur Todeskammer, da vernahm er ein dumpfes Geräusch. Es schauerte ihn, denn er kannte es nur zu gut: es war das Nachgeben der Fallklappe, gefolgt von dem abscheulichen weichen Aufprallen des Körpers am Ende seines Falles.
Im Geiste sagte er sich, daß das nicht nur einfach das Geräusch einer Fallklappenprobe war …
Die Hinrichtungskammer war leer.
Die Fallklappe stand offen, und ein gespannter, ins Dunkel reichender Strick schwang, langsam und regelmäßig pendelnd, hin und her.
Er beugte sich über das abstoßende, tiefe Loch.
Da sah er Duck … gehängt.
Als Smitherson sich umwandte und einen Alarmschrei ausstieß, sah er, an den Galgenpfosten gelehnt, den Geist Browns, der ihn mit furchtbaren Augen ansah.
Eine gnädige Ohnmacht entzog Smitherson dem Kreis der wenigen Zeugen, die den nun folgenden unerklärlichen Begebenheiten beiwohnten.
Sie werden, nicht ohne Grund, in den Akten von Pentonville nicht erwähnt; im Merkbuch des Direktors läßt sich jedoch das Fehlen von einem halben Dutzend Seiten feststellen, die, sorgfältig herausgeschnitten, angeblich noch im Innenministerium aufbewahrt werden.
Der Pförtner Clevens wurde aus dem Halbschlaf, der ihn gewöhnlich gegen Ende der Nacht überkam, nicht durch Lärm, denn es herrschte völlige Stille, sondern durch ein entsetzliches Angstgefühl gerissen, von dem ihm übel wurde.
»Das Herz«, sagte er. »In meinem Alter …«
Er warf einen Blick in den Korridor und sah einige Schatten, die sich gruppiert in Richtung des zentralen Rundbaus bewegten.
»Teufel«, brummte er, »was geht da vor?«
Später hat Clevens vor allem betont, daß während der schrecklichen Minuten, welche er hilflos, als Gefangener einer übermenschlichen Gestalt, die ihn der Bewegung und der Sprache beraubte, zu durchstehen hatte, eine ungeheure Stille herrschte.
Die zuerst aus undeutlichen Schatten bestehende Gruppe nahm allmählich klare und beängstigende Formen an.
Die einen trugen eine schwarze Kapuze über dem Kopf, die anderen hatten das Gesicht entblößt, und die erkannte er alle; es waren die Männer, die er im Morgengrauen mit einem Strick um den Hals hatte sterben sehen:
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