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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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den ewi­gen Wan­de­rern und Land­strei­chern ge­hör­te, je­nen ganz den ge­heim­nis­vol­len Kräf­ten der Na­tur hin­ge­ge­be­nen Men­schen, die er in sei­nen Ro­ma­nen und Er­zäh­lun­gen im­mer wie­der lie­be­voll schil­der­te – un­ver­dor­be­ne Ge­gen­bil­der zu der see­len­lo­sen tech­ni­sier­ten Kul­tur, die er wäh­rend sei­ner Jah­re in Nord­ame­ri­ka has­sen ge­lernt hat­te. 1920 er­hielt Knut Ham­sun (1859-1952) den No­bel­preis für sei­nen Ro­man ›Se­gen der Er­de‹, einen Lob­ge­sang auf den Bau­ern, der die Wild­nis ur­bar macht und Land kul­ti­viert. Ne­ben ei­nem tief­ver­wur­zel­ten Na­tur­ge­fühl zei­gen sei­ne Wer­ke einen aus­ge­präg­ten Sinn für das Hin­ter­grün­di­ge und Ir­ra­tio­na­le der mensch­li­chen In­di­vi­dua­li­tät, für die Mys­te­ri­en des Le­bens, die er dem ge­schwät­zi­gen Blend­werk der mo­der­nen Zi­vi­li­sa­ti­on ent­ge­gen­hält.
     
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    Meh­re­re Jah­re mei­ner Kind­heit ver­brach­te ich bei mei­nem On­kel auf dem Pfarr­hof im Nord­land. Es war ei­ne har­te Zeit für mich, viel Ar­beit, viel Prü­gel und sel­ten ei­ne Stun­de zu Spiel und Ver­gnü­gen. Da mein On­kel mich so streng hielt, be­stand all­mäh­lich mei­ne ein­zi­ge Freu­de dar­in, mich zu ver­ste­cken und al­lein zu sein; hat­te ich aus­nahms­wei­se ein­mal ei­ne freie Stun­de, so be­gab ich mich in den Wald, oder ich ging auf den Kirch­hof und wan­der­te zwi­schen Kreu­zen und Grab­stei­nen her­um, träum­te, dach­te und un­ter­hielt mich laut mit mir sel­ber.
    Der Pfarr­hof lag un­ge­wöhn­lich schön, dicht bei der Glim­ma, ei­nem brei­ten Strom mit vie­len großen Stei­nen, des­sen Brau­sen Tag und Nacht, Nacht und Tag er­tön­te. Die Glim­ma floß einen Teil des Tags süd­wärts, den üb­ri­gen Teil nord­wärts, je nach­dem Flut oder Eb­be war – im­mer aber braus­te ihr ewi­ger Ge­sang, und ihr Was­ser rann mit glei­cher Ei­le im Som­mer wie im Win­ter da­hin, wel­che Rich­tung es auch nahm.
    Oben auf ei­nem Hü­gel la­gen die Kir­che und der Kirch­hof. Die Kir­che war ei­ne al­te Kreuz­kir­che aus Holz, und die Grä­ber wa­ren oh­ne Blu­men; hart an der stei­ner­nen Mau­er aber pfleg­ten die üp­pigs­ten Him­bee­ren zu wach­sen, die ih­re Nah­rung aus der fet­ten Er­de der To­ten so­gen. Ich kann­te je­des Grab und je­de In­schrift, und ich er­leb­te, daß Kreu­ze, die ganz neu auf­ge­stellt wur­den, im Lau­fe der Zeit sich zu nei­gen be­gan­nen und schließ­lich in ei­ner Stur­m­nacht um­stürz­ten.
    Wa­ren da auch kei­ne Blu­men auf den Grä­bern, so wuchs doch im Som­mer ho­hes Gras auf dem gan­zen Kirch­hof. Es war so hoch und so hart, daß ich oft da saß und dem Win­de lausch­te, der in die­sem son­der­ba­ren Gra­se saus­te, das mir bis an die Hüf­ten ging. Und mit­ten in dies Ge­sau­se hin­ein konn­te die Wet­ter­fah­ne auf dem Kirch­turm knar­ren, und die­ser ros­ti­ge, ei­ser­ne Ton klang jam­mernd über den Pfarr­hof hin. Es war als ob dies Stück Ei­sen mit den Zäh­nen knirsch­te.
    Wenn der To­ten­grä­ber bei der Ar­beit war, hat­te ich oft ei­ne Un­ter­hal­tung mit ihm. Er war ein erns­ter Mann, er lä­chel­te sel­ten, aber er war sehr freund­lich ge­gen mich, und wenn er so da­stand und Er­de aus dem Gra­be auf­schau­fel­te, kam es wohl vor, daß er mir zu­rief, ein we­nig aus dem We­ge zu ge­hen, denn jetzt ha­be er ein großes Stück Hüft­kno­chen oder den Schä­del ei­nes To­ten auf dem Spa­ten.
    Ich fand oft Kno­chen und Haar­bü­schel von Lei­chen auf den Grä­bern, die ich dann wie­der in die Er­de ein­grub, wie es der To­ten­grä­ber mich ge­lehrt hat­te. Ich war hieran so ge­wöhnt, daß ich kein Grau­sen emp­fand, wenn ich auf die­se Men­schen­res­te stieß. Un­ter dem einen En­de der Kir­che be­fand sich ein Lei­chen­kel­ler, wo Un­men­gen von Kno­chen la­gen, und in die­sem Kel­ler saß ich gar oft, spiel­te mit den Kno­chen und bil­de­te aus dem zer­brö­ckel­ten Ge­bein Fi­gu­ren auf dem Bo­den.
    Ei­nes Ta­ges aber fand ich einen Zahn auf dem Kirch­hof.
    Es war ein Vor­der­zahn, schim­mernd weiß und stark. Oh­ne mir wei­ter Re­chen­schaft dar­über

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