Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
Vom Netzwerk:
ge­fun­den hat­te, woll­te ich ihn gleich wie­der nach dem Kirch­hof brin­gen, hat­te aber nicht den Mut da­zu. Ich saß noch im­mer al­lein und konn­te mich nicht rüh­ren. Ich hör­te Schrit­te drau­ßen auf dem Hof und mein­te, daß es ei­ne der Mäg­de sei, die auf ih­ren Holz­pan­tof­feln ge­klap­pert kam; ich wag­te aber nicht, sie an­zu­ru­fen, und die Schrit­te gin­gen vor­über. Ei­ne Ewig­keit ver­ging. Das Feu­er im Ofen fing an aus­zu­bren­nen, und kei­ne Ret­tung zeig­te sich mir.
    Da biß ich die Zäh­ne zu­sam­men und stand auf. Ich öff­ne­te die Tür und ging rück­wärts aus der Ge­sin­de­stu­be her­aus, un­ver­wandt nach dem Fens­ter star­rend, an dem der Mann ge­stan­den hat­te. Als ich auf den Hof hin­aus­ge­kom­men war, rann­te ich nach dem Stall hin­über, um einen der Knech­te zu bit­ten, mich nach dem Kirch­hof hin­über zu be­glei­ten. Die Knech­te be­fan­den sich aber nicht im Stall.
    Jetzt un­ter frei­em Him­mel war ich küh­ner ge­wor­den, und ich be­schloß, al­lein nach dem Fried­hof hin­auf­zu­ge­hen; da­durch wür­de ich es auch ver­mei­den, mich je­man­dem an­zu­ver­trau­en und dann spä­ter in des On­kels Fin­ger zu ge­ra­ten.
    So ging ich denn al­lein den Hü­gel hin­an.
    Den Zahn trug ich in mei­nem Ta­schen­tuch.
    Oben an der Kirch­hofs­pfor­te blieb ich ste­hen – mein Mut ver­sag­te mir sei­nen fer­ne­ren Bei­stand. Ich hör­te das ewi­ge Brau­sen der Glim­ma, sonst war al­les still. In der Kirch­hofs­pfor­te war kei­ne Tür, nur ein Bo­gen, durch den man hin­durch­ging; ich stell­te mich vol­ler Angst auf die ei­ne Sei­te die­ses Bo­gens und steck­te den Kopf vor­sich­tig durch die Öff­nung, um zu se­hen, ob ich es wa­gen kön­ne, wei­ter­zu­ge­hen.
    Da sank ich plötz­lich platt auf die Knie.
    Ein Stück jen­seits der Pfor­te stand mein Mann mit dem Süd­wes­ter. Er hat­te wie­der das wei­ße Ge­sicht, und er wand­te es mir zu, gleich­zei­tig aber zeig­te er vor­wärts nach dem Kirch­hof hin­auf.
    Ich sah dies als Be­fehl an, wag­te aber nicht, zu ge­hen. Ich lag lan­ge da und sah den Mann an, ich fleh­te ihn an, und er stand un­be­weg­lich und still.
    Da ge­sch­ah et­was, das mir wie­der ein we­nig Mut mach­te: ich hör­te einen der Knech­te un­ten am Stall­ge­bäu­de ge­schäf­tig um­her­ge­hen und pfei­fen. Die­ses Le­bens­zei­chen be­wirk­te, daß ich mich er­hob. Da ent­fern­te sich der Mann ganz all­mäh­lich, er ging nicht, er glitt über die Grä­ber da­hin, im­mer vor­wärts zei­gend. Ich trat durch die Pfor­te. Der Mann lock­te mich wei­ter. Ich tat ei­ni­ge Schrit­te und blieb dann ste­hen; ich konn­te nicht mehr. Mit zit­tern­der Hand nahm ich den wei­ßen Zahn aus dem Ta­schen­tuch und warf ihn mit al­ler Macht auf den Kirch­hof. In die­sem Au­gen­blick dreh­te sich die ei­ser­ne Stan­ge auf dem Kirch­turm, und der schril­le Schrei ging mir durch Mark und Bein. Ich stürz­te zur Pfor­te hin­aus, den Hü­gel hin­ab und nach Hau­se. Als ich in die Kü­che kam, sag­ten sie mir, mein Ge­sicht sei weiß wie Schnee.
    Es sind jetzt vie­le Jah­re seit­dem ver­gan­gen, aber ich ent­sin­ne mich je­der Ein­zel­heit. Ich se­he mich noch auf den Kni­en vor der Kirch­hofs­pfor­te lie­gen, und ich se­he den rot­bär­ti­gen Mann.
    Sein Al­ter kann ich nicht ein­mal un­ge­fähr an­ge­ben. Er konn­te zwan­zig Jah­re alt sein, er konn­te auch vier­zig sein. Da es nicht das letz­te­mal sein soll­te, daß ich ihn sah, ha­be ich auch spä­ter noch über die­se Fra­ge nach­ge­dacht; aber noch im­mer weiß ich nicht, was ich über sein Al­ter sa­gen soll.
    Man­chen Abend und man­che Nacht kam der Mann wie­der. Er zeig­te sich, lach­te mit sei­nem weit­ge­öff­ne­ten Mun­de, in dem ein Zahn fehl­te, und ver­schwand. Es war Schnee ge­fal­len, und ich konn­te nicht mehr auf den Kirch­hof ge­hen und ihn in die Er­de le­gen. Und der Mann kam wie­der und wie­der, aber mit im­mer län­ge­ren Zwi­schen­räu­men, den gan­zen Win­ter hin­durch. Mei­ne haar sträu­ben­de Angst vor ihm nahm ab; aber er mach­te mein Le­ben sehr un­glück­lich, ja un­glück­lich bis zum Über­druß. In je­nen Ta­gen war es mir oft ei­ne ge­wis­se Freu­de, wenn ich dar­an dach­te, daß ich

Weitere Kostenlose Bücher