18 Geisterstories
»ich wußte nicht … In der Tat, man erzählt sich, und Sie haben doch auch ganz gewiß davon gehört, daß es in diesem Hause spukt, und da es meinem Freunde Pont gehört – Sie kennen Herrn Pont?«
»Sehr gut«, sagte der alte Herr, »sehr gut, aber nehmen Sie doch ein Gläschen Cognac?«
»Dann«, sagte Anatole, »wundert es mich nur, daß ich Sie niemals dort getroffen habe. Nein, danke, ich nehme keinen Zucker in den Cognac. – Und wie kommen Sie hierhin?«
»Eine Zigarre?« bot der alte Herr freundlich an und schob Anatole das Kistchen zu.
»Sehr gern. Nicht wahr, ich sagte Ihnen schon, daß ich hierher gekommen bin, weil man mir erzählt hat, es spu ke in diesem Hause? … Pont hat es mir übrigens nicht mitgeteilt, daß wir die Nacht zu zweien verbringen würden … Ich bin übrigens sehr erfreut darüber«, fügte er hinzu, sein Glas leerend und sogleich wieder füllend, denn der Cognac war vorzüglich und Anatole war geistigen Getränken durchaus nicht abhold. »Haben Sie mich vielleicht hier erwartet?«
»Ja«, sagte der andere.
»Nun, ich finde, daß Pont mich davon hätte benachrich tigen können«, meinte Anatole, eine Zigarre ansteckend, »wirklich, das finde ich.«
»Aber er hat es doch getan«, sagte der alte Herr ruhig.
»So? Nun, jedenfalls habe ich keine Botschaft von ihm erhalten – – und, das ist eigentlich etwas peinlich für mich, denn ich komme mir hier beinahe wie ein Eindringling vor …«
»Aber keineswegs, ganz gewiß nicht.«
Und der alte Herr lächelte noch liebenswürdiger wie vorher.
»Doch, ganz gewiß«, erklärte Anatole würdevoll, »es ist peinlich – wenn man einander nicht kennt –« Er machte eine Pause in der Hoffnung, daß der andere sich nun vorstellen würde. Dies geschah jedoch nicht und Anatole leerte, um seine Verlegenheit zu verstecken, sein Glas und füllte es wieder.
»Ausgezeichnet«, sagte er, »ganz ausgezeichnet – aber da wir uns beide zum Zwecke einer wissenschaftlichen Untersuchung hier zusammengefunden haben, erlaube ich mir, Sie zu fragen, was Sie denn über die Gespenstergeschichten denken, die man über dieses Haus erzählt? Man hat mir besonders von dem spukhaften Erscheinen eines alten Dummkopfes, eines früheren Mieters zu berichten gewußt. Ganz gewiß ist, daß dies Haus sehr im Verrufe steht und sich daher nicht vermieten läßt. Ebenso steht fest, daß alle, die es versucht haben, eine Nacht darin zu verbringen, wie das jetzt unser Vorhaben ist, es nicht zum zweiten Male gewagt haben. Aber was ist der Grund all dieses Geredes? Weshalb spukt es in diesem Hause und was für ein Geist geht darin um?«
»Ich«, sagte ruhig der alte Herr, Anatole über seine Brillengläser weg ansehend.
»Sie«, rief Anatole bestürzt, »Sie scherzen wohl?«
»Nein«, sagte der alte Herr, »das ist kein Scherz. Es ist Wahrheit. Ich bin es, den Sie eben erst den Geist eines alten Dummkopfes und früheren Mieters genannt haben.«
»Teufel … Teufel auch«, murmelte Anatole, in sein Glas sehend.
»Nein«, sagte der alte Herr.
»Wieso, nein?« fragte Anatole.
»Nein, ich bin nicht der Teufel; ich bin ein Gespenst, wenn Sie so wollen, ein Phantom, ein Schatten, ein Geist – alles, wie es Ihnen gefällt – aber ich bin nicht der Teufel.«
»Das … das gefällt mir nicht«, gestand Anatole beunruhigt. »Außerdem verstehe ich nicht – – –«
Er nahm abermals seine Zuflucht zu einem Gläschen Cognac.
»Sie werden bald genug verstehen«, sagte das Gespenst herablassend. »Ich habe vor etwa fünfzehn Jahren, als ich noch sehr lebendig war, dies kleine Haus gemietet und elf Jahre darin gewohnt. Vor vier Jahren bin ich gestorben. Da bin ich natürlich in eine andere Welt eingetreten, in der ich jedoch aus persönlichen Gründen nicht dauernd bleiben konnte.
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