18 Geisterstories
Verbeugung. Nach einiger Zeit redete er mich in schlechtem Französisch an, mit dem singenden Ton seiner Rasse. Er sprach sehr verlegen und stockend und ich merkte bald, wo er hinaus wollte. Erst heute war er, wie er sagte, in Paris angekommen, mit seiner Frau und drei kleinen Kindern, von denen eines sehr krank sei. Er wolle sich hier eine Existenz gründen, sei aber heute den ganzen Tag vergeblich herumgelaufen und könne vor Hunger und Müdigkeit nicht mehr stehen. Seine Frau wartete auf ihn, irgendwo weit draußen. Und er habe keinen Sou in der Tasche, um den Kindern Brot zu kaufen. Ich sah ihn ärgerlich an, zuerst an einen jener zahllosen, unverschämten Bettler denkend, die von irgendeiner trübseligen, eingelernten Phrase viel besser leben als mancher brave Arbeiter. Aber seine Augen waren mit so heißer, verzweifelter Bitte auf mich gerichtet und hafteten mit so banger Erwartung an meinem Gesicht, daß ich ihm, meiner Absicht entgegen, ein Fünffrankenstück zuschob. Er brach in eine Flut von Danksagungen und in naive Segenswünsche aus, so daß er mir im höchsten Grade lästig erschien. Als er mich gar noch fragte, ob ich ihm nicht etwas abkaufen wolle, sagte ich in barschem Tone, er solle sich fortmachen. Aber er blieb ganz ruhig sitzen und nahm das Kästchen, das Sie, Herr Doktor, in Ihrer Hand halten, aus der Tasche und reichte es mir. Es sei von einem vornehmen Herrn aus Wien, der sich erschossen und aus dessen Nachlaß er es erstanden habe. Eine große Rarität müsse es sein und sehr alt. Er habe seinen Rabbi gefragt, was es sei, der habe ihm aber sehr streng befohlen, das alles zu verbrennen und es unter keinen Umständen zu verkaufen. Das wäre aber doch schade und er sei ein armer Mensch. Ob ich zwanzig Franken geben würde?
Widerwillig öffnete ich das Etui, sah den rätselhaften Inhalt an und kaufte es sofort. Seit langer Zeit hatte mich nichts mehr erregt oder interessiert – dieses Kästchen mit der Maske und dem Pergamentstreifen wirkte auf mich wie ein kühler Trunk auf den Verschmachtenden. Ich steckte es sofort zu mir.
Der Jude nickte mir noch dankbar zu und sagte Segenswünsche vor sich hin. Er verschwand ebenso, wie er gekommen war. Ich sah einen Moment fort, und als ich mich wieder dem Tisch zukehrte, war er verschwunden; das Goldstück hatte er im letzten Augenblick nicht zu nehmen gewagt; es lag dicht bei meinem Arm. Er hatte offenbar einen kurzen, schweren Kampf mit sich selbst gekämpft. Das tat mir recht leid. Ich hätte dem armen Kerl das Geld gerne geschenkt. Ich habe ihn nie mehr in meinem Leben gesehen.
So eilig als möglich fuhr ich nach Hause. Ich hatte eine sehr hübsche Wohnung in der Nähe der Madeleine.
Durch den Diener ließ ich mir ein kaltes Souper holen und blieb zu Hause. Nach dem Essen betrachtete ich das Kästchen und seinen Inhalt aufs genaueste. Vergebens aber suchte ich in meinen Büchern nach einem bekannte ren Magier namens Tormento, dessen ›wahre Kleinodien‹ vor mir lagen.«
Ein neuerlicher Anfall ließ Kerdac verstummen. Erst nach langen Minuten, die der Arzt in beständiger Erwartung des Endes, in einer ihm unbegreiflichen Erregtheit durchlebte, öffnete jener wieder die farblosen Lippen, um zu sprechen.
»Ich muß mich eilen«, stammelte er. »Es geht jetzt rasch abwärts. – Ich sprach von dem ersten Abend? – Nun – ich habe das Geheimnis erst nach Wochen, nach einer Zeit nervösen Suchens und Grübelns gefunden. – Es war an einem Septemberabend, als ich wieder einmal die Maske vornahm und den Monatsstein, also den Chrysolith, in die runde Öffnung schob. Ich hatte den Versuch schon hundertmal gemacht. – Wie sonst, so starrte ich auch heute durch das Plättchen gegen das Licht. Im Gegensatz zu anderen
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