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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Ver­beu­gung. Nach ei­ni­ger Zeit re­de­te er mich in schlech­tem Fran­zö­sisch an, mit dem sin­gen­den Ton sei­ner Ras­se. Er sprach sehr ver­le­gen und sto­ckend und ich merk­te bald, wo er hin­aus woll­te. Erst heu­te war er, wie er sag­te, in Pa­ris an­ge­kom­men, mit sei­ner Frau und drei klei­nen Kin­dern, von de­nen ei­nes sehr krank sei. Er wol­le sich hier ei­ne Exis­tenz grün­den, sei aber heu­te den gan­zen Tag ver­geb­lich her­um­ge­lau­fen und kön­ne vor Hun­ger und Mü­dig­keit nicht mehr ste­hen. Sei­ne Frau war­te­te auf ihn, ir­gend­wo weit drau­ßen. Und er ha­be kei­nen Sou in der Ta­sche, um den Kin­dern Brot zu kau­fen. Ich sah ihn är­ger­lich an, zu­erst an einen je­ner zahl­lo­sen, un­ver­schäm­ten Bett­ler den­kend, die von ir­gend­ei­ner trüb­se­li­gen, ein­ge­lern­ten Phra­se viel bes­ser le­ben als man­cher bra­ve Ar­bei­ter. Aber sei­ne Au­gen wa­ren mit so hei­ßer, ver­zwei­fel­ter Bit­te auf mich ge­rich­tet und haf­te­ten mit so ban­ger Er­war­tung an mei­nem Ge­sicht, daß ich ihm, mei­ner Ab­sicht ent­ge­gen, ein Fünf­fran­ken­stück zu­schob. Er brach in ei­ne Flut von Dank­sa­gun­gen und in nai­ve Se­gens­wün­sche aus, so daß er mir im höchs­ten Gra­de läs­tig er­schi­en. Als er mich gar noch frag­te, ob ich ihm nicht et­was ab­kau­fen wol­le, sag­te ich in bar­schem To­ne, er sol­le sich fort­ma­chen. Aber er blieb ganz ru­hig sit­zen und nahm das Käst­chen, das Sie, Herr Dok­tor, in Ih­rer Hand hal­ten, aus der Ta­sche und reich­te es mir. Es sei von ei­nem vor­neh­men Herrn aus Wi­en, der sich er­schos­sen und aus des­sen Nach­laß er es er­stan­den ha­be. Ei­ne große Ra­ri­tät müs­se es sein und sehr alt. Er ha­be sei­nen Rab­bi ge­fragt, was es sei, der ha­be ihm aber sehr streng be­foh­len, das al­les zu ver­bren­nen und es un­ter kei­nen Um­stän­den zu ver­kau­fen. Das wä­re aber doch scha­de und er sei ein ar­mer Mensch. Ob ich zwan­zig Fran­ken ge­ben wür­de?
    Wi­der­wil­lig öff­ne­te ich das Etui, sah den rät­sel­haf­ten In­halt an und kauf­te es so­fort. Seit lan­ger Zeit hat­te mich nichts mehr er­regt oder in­ter­es­siert – die­ses Käst­chen mit der Mas­ke und dem Per­ga­ment­strei­fen wirk­te auf mich wie ein küh­ler Trunk auf den Ver­schmach­ten­den. Ich steck­te es so­fort zu mir.
    Der Ju­de nick­te mir noch dank­bar zu und sag­te Se­gens­wün­sche vor sich hin. Er ver­schwand eben­so, wie er ge­kom­men war. Ich sah einen Mo­ment fort, und als ich mich wie­der dem Tisch zu­kehr­te, war er ver­schwun­den; das Gold­stück hat­te er im letz­ten Au­gen­blick nicht zu neh­men ge­wagt; es lag dicht bei mei­nem Arm. Er hat­te of­fen­bar einen kur­z­en, schwe­ren Kampf mit sich selbst ge­kämpft. Das tat mir recht leid. Ich hät­te dem ar­men Kerl das Geld ger­ne ge­schenkt. Ich ha­be ihn nie mehr in mei­nem Le­ben ge­se­hen.
    So ei­lig als mög­lich fuhr ich nach Hau­se. Ich hat­te ei­ne sehr hüb­sche Woh­nung in der Nä­he der Ma­de­lei­ne.
    Durch den Die­ner ließ ich mir ein kal­tes Sou­per ho­len und blieb zu Hau­se. Nach dem Es­sen be­trach­te­te ich das Käst­chen und sei­nen In­halt aufs ge­naues­te. Ver­ge­bens aber such­te ich in mei­nen Bü­chern nach ei­nem be­kann­te ren Ma­gier na­mens Tor­men­to, des­sen ›wah­re Klein­odi­en‹ vor mir la­gen.«
    Ein neu­er­li­cher An­fall ließ Ker­dac ver­stum­men. Erst nach lan­gen Mi­nu­ten, die der Arzt in be­stän­di­ger Er­war­tung des En­des, in ei­ner ihm un­be­greif­li­chen Er­regt­heit durch­leb­te, öff­ne­te je­ner wie­der die farb­lo­sen Lip­pen, um zu spre­chen.
    »Ich muß mich ei­len«, stam­mel­te er. »Es geht jetzt rasch ab­wärts. – Ich sprach von dem ers­ten Abend? – Nun – ich ha­be das Ge­heim­nis erst nach Wo­chen, nach ei­ner Zeit ner­vö­sen Su­chens und Grü­belns ge­fun­den. – Es war an ei­nem Sep­tem­be­r­abend, als ich wie­der ein­mal die Mas­ke vor­nahm und den Mo­nats­stein, al­so den Chry­so­lith, in die run­de Öff­nung schob. Ich hat­te den Ver­such schon hun­dert­mal ge­macht. – Wie sonst, so starr­te ich auch heu­te durch das Plätt­chen ge­gen das Licht. Im Ge­gen­satz zu an­de­ren

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