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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Ver­su­chen be­schloß ich dies­mal zu war­ten, bis ir­gend et­was sich zei­gen wür­de, und war be­reit, die gan­ze Nacht aus­zu­har­ren. – – – Wie lan­ge es dau­er­te, weiß ich nicht mehr. Sehr lan­ge je­den­falls. Spä­ter ging es viel ra­scher. – Ich sah al­so stun­den­lang durch den gel­ben Stein – wie ge­bannt. Und plötz­lich, ganz von selbst, möch­te ich sa­gen, rief ich den Na­men Li­lith un­zäh­li­ge Ma­le aus.
    Auf ein­mal war es mir, als bil­de sich im Mit­tel­punkt des durch­sich­ti­gen Scheib­chens et­was wie ei­ne klei­ne Wol­ke. Doch nein – jetzt schi­en es au­ßer­halb zu lie­gen, in der Ecke des Zim­mers. Mein Denk­ver­mö­gen be­gann ein­zu­schla­fen – ich sah nur un­ver­wandt die gel­be Wol­ke an, wie sie wuchs und wuchs und wie es sich in ihr reg­te. Ich saß wie ge­lähmt. – Im­mer deut­li­cher sah ich die Ge­stalt ei­ner Frau – ei­ner nack­ten Frau mit lan­gen Haa­ren. Dann ver­lor ich wohl die Be­sin­nung, denn als ich mit dem Ge­fühl des Er­wa­chens die Hän­de wie­der be­weg­te, war die Er­schei­nung ver­schwun­den.
    Ich dach­te zu­erst an ei­ne leb­haf­te Hal­lu­zi­na­ti­on, die durch Au­to­hyp­no­se, durch die sys­te­ma­ti­sche Über­rei­zung der Seh­ner­ven nur zu er­klär­lich schi­en. Ich ging dann aus; den gan­zen Abend, selbst im Thea­ter – in ei­nem blöd­sin­ni­gen Vau­de­ville tauch­te im­mer wie­der das Wort, der Na­me Li­lith in mir auf. Ich er­in­ne­re mich, daß ich ver­schie­de­nes dar­über ge­le­sen hat­te. – Ei­ne Teu­fe­lin – Adams ers­te Frau – – – der Suc­cu­bus des Mit­tel­al­ters.
    Ich war schreck­lich mü­de und ging früh nach Hau­se. Als ich im Bett lag, schlief ich fast au­gen­blick­lich ein. Und ich er­wach­te fast eben­so schnell – durch die Be­rüh­rung ei­nes Kör­pers, der mir na­he war. Ei­ne Frau war in mei­nem Zim­mer – – – schön wie ein Traum­bild – in lan­ges, gol­de­nes Haar gehüllt, das knis­ternd über ih­re Schul­tern floß.
    Blaue Fünk­chen spran­gen durch das Gold­ge­spinst.
    Und das Selt­sa­me war, daß ich we­der Stau­nen noch Schreck fühl­te. Ich fand es selbst­ver­ständ­lich, daß sie ge­kom­men war. Ich wuß­te, daß die­ser schlan­ke, bieg­sa­me Leib der mei­ner Ge­lieb­ten, der Teu­fe­lin Li­lith, war. Ach – ich hat­te sie ja schon ge­kannt! Ich sah sie ge­wiß nicht zum ers­ten Ma­le. Ich kann­te die sü­ßen Lip­pen, die­se hell­blau­en Au­gen mit den win­zi­gen Pu­pil­len, die ge­schlitzt wa­ren wie die der Kat­zen. Und ich such­te nach dem Blut­ströpf­chen, daß sie wie einen Ru­bin auf der Un­ter­lip­pe trug. Ich wuß­te, daß es im­mer auf ih­rem blaß­ro­ten Mun­de zit­ter­te. – Auch die­ses gelb­li­che, däm­mern­de Licht, das mich mein Zim­mer er­ken­nen ließ, er­schi­en mir als et­was längst Ge­wohn­tes.
    Ich dach­te aber das al­les nicht – ich fühl­te nur – ich fühl­te al­les – un­aus­sprech­lich deut­lich und doch mit Wor­ten nicht aus­zu­drücken. So wie man Mu­sik denkt – oder Far­ben – ich weiß es nicht zu sa­gen. Nur Wort­ge­dan­ken, Be­grif­fe wa­ren mir in die­ser und an­de­ren Näch­ten et­was Frem­des, Plump­kör­per­li­ches, das mich so­fort aus ih­ren Ar­men ge­ris­sen hät­te.
    Stel­len Sie sich vor, Sie könn­ten Tö­ne, Har­mo­ni­en mit al­len Sin­nen wahr­neh­men, – füh­len, – rie­chen, se­hen – Doch nein! Ich kann Ih­nen das nicht sa­gen –. Es war die Se­lig­keit. Ich lös­te mich in ei­ne pur­pur­dunkle Flam­me auf – ich ver­ging in Won­nen, die kei­ner ahnt –. Ich dreh­te mich in be­tö­ren­den Licht­wir­beln, – kör­per­los und doch mit den Sin­nen füh­lend –. Ich wur­de eins mit der Frau –, ein ein­zi­ges göt­ter­glei­ches We­sen –.
    – – – Als mich mein Die­ner mit sanf­tem Rüt­teln weck te, war es ho­her Mit­tag. Ich stand tau­melnd auf –, be­täubt, mü­de und ver­nich­tet. An mei­nem Hal­se war ein dunkles Mal – das zer­drück­te Kis­sen trug einen leuch­ten­den Fle­cken. Es war Blut – Li­liths Ab­schieds­kuß –!
    An dem Tag ging ich nicht un­ter Men­schen. Ich woll­te nie­man­den se­hen. Das Licht ver­ging wie­der, – der Abend kam. Ich lag wie­der im Bett

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