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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Gu­thrie zu su­chen hielt ich für über­flüs­sig. Wenn er sich recht­zei­tig um­ge­klei­det hat, steht er meist ir­gend­wo in ei­ner dunklen Ecke und wünscht nichts sehn­li­cher, als al­lein ge­las­sen zu wer­den – mag sein, um noch einen Schluck zu trin­ken, das wird es sein, da liegt wohl der Hund be­gra­ben. Manch­mal be­sucht er dann auch Sy­bil in ih­rer Gar­de­ro­be.
    Ich be­merk­te Mo­ni­ca, die auf ei­nem Kof­fer na­he dem Schalt­brett im hin­te­ren Teil des Büh­nen­raums saß, der in hel­les Licht ge­taucht war. Sie sah himm­lisch zart in ih­rer blon­den Ophe­lia-Pe­rücke aus, wie ein strah­len­der Früh­lings­tag, was ihr hell­grü­nes Ko­stüm al­ler­liebst be­ton­te. Ich er­in­ner­te mich mei­nes froh­ge­mu­ten Ver­spre­chens dem Prin­zi­pal ge­gen­über, beug­te mich zu ihr her­un­ter und frag­te sie in al­ler Of­fen­heit, was es mit dem Oui­ja-Brett nun wirk­lich auf sich ha­be.
    Ehr­lich ge­sagt, ich war hoch­er­freut, daß es ne­ben dem Thea­ter­spie­len noch et­was gab, wor­über ich mit ihr spre­chen konn­te, oh­ne ihr auf die Ner­ven zu ge­hen.
    Sie war sehr auf­ge­regt und zu­gleich selt­sam geis­tes­ab­we­send, ihr Blick irr­te un­ru­hig hin und her und ver­lor sich in der Fer­ne, um gleich dar­auf wie­der ganz nah zu sein. Mei­ne Fra­gen brach­ten sie nicht aus der Fas­sung, in Wirk­lich­keit schie­nen sie ihr ganz will­kom­men zu sein; an­de­rer­seits moch­te sie mir nicht ver­ra­ten, warum sie der letz­te Na­me auf dem Brett so er­schreckt hat­te. Sie sei in einen tran­ce­ar­ti­gen Zu­stand ver­fal­len, wäh­rend sie das Brett be­frag­te, und dann hät­te sie plötz­lich laut auf­ge­schri­en, oh­ne rich­tig zu be­grei­fen, was sie nun ei­gent­lich so ent­setzt ha­be. Was dann ge­sche­hen sei, wis­se sie nicht mehr.
    »Ei­nes weiß ich aber si­cher, Bru­ce: Ich wer­de das Brett nie mehr zu Ra­te zie­hen.«
    »Das klingt sehr ver­nünf­tig«, sag­te ich et­was zu­rück­hal­tend, da­mit sie nicht merk­te, wie sehr mich das freu­te. In­zwi­schen hat­te sie auch auf­ge­hört, mit ih­ren Bli­cken das Dun­kel zu durch­boh­ren, als könn­te je­den Au­gen­blick ei­ne Ge­stalt dar­aus auf­tau­chen, die nicht in das Stück ge­hör­te und hin­ter der Büh­ne nichts zu su­chen hat­te.
    »Vie­len Dank«, sag­te sie, ih­re Hand auf die mei­ne le­gend, »daß Sie so schnell ge­kom­men sind. Ich weiß, ich ha­be mich idio­tisch be­nom­men.« Ich war ge­ra­de im Be­griff, die Ge­le­gen­heit beim Schopf zu pa­cken und ihr zu ge­ste­hen, daß ich in mei­ner Ver­liebt­heit ein­zig und al­lein ih­ret­we­gen so schnell her­bei­ge­eilt sei, aber in die­sem Au­gen­blick ka­men Joe Ru­bens und der Prin­zi­pal, der be­reits das ›Ham­let‹-Schwarz an­ge­legt hat­te, um mir mit­zu­tei­len, daß man we­der Gu­thrie Boyd noch sein Ko­stüm ir­gend­wo im Thea­ter ha­be fin­den kön­nen.
    Joe hat­te von Sy­bil die Te­le­fon­num­mern von Gu­thries Kin­dern er­fah­ren und ver­such­te sie jetzt an­zu­ru­fen. Bei der ers­ten Num­mer, die er wähl­te, mel­de­te sich nie­mand, aber bei der zwei­ten hat­te er mehr Glück. Ei­ne weib­li­che Stim­me, wahr­schein­lich ei­nes der En­kel­kin­der, teil­te ihm mit, daß al­le zu Gu­thrie Boyd in Ham­let ge­gan­gen sei­en.
    Da Joe be­reits sei­ne schwe­re Pan­zer­rüs­tung für den Mar­cel­lus trug, wuß­te ich, daß der Prin­zi­pal mich aus­er­se­hen hat­te. Al­so rann­te ich die Trep­pe hin­auf, setz­te mei­nen Hut auf, zog mei­nen Man­tel an, warf einen flüch­ti­gen Blick auf mei­ne Arm­band­uhr und ver­ließ das Thea­ter, vor­bei an Ro­bert Den­nis, der den wah­ren Grund mei­ner Missi­on durch­schau­te und mir riet, es zu­erst in den schä­bi­gen Bars zu ver­su­chen. Auf mei­nem Weg durch die in der Nä­he des Thea­ters ge­le­ge­nen Bars trös­te­te mich der Ge­dan­ke, daß nie­mand einen Blick auf mein ei­ge­nes Ko­stüm wer­fen wür­de, wenn ich den be­sof­fe­nen Geist von Ham­lets Va­ter tat­säch­lich fin­den soll­te. Kurz vor Be­ginn der Vor­stel­lung kam ich ins Thea­ter zu­rück. Ich war we­der Gu­thrie noch ir­gend­ei­ner Men­schen­see­le be­geg­net, die den großen Mann ge­se­hen hät­te,

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