18 Geisterstories
halbwahnsinnig in den Dörfern herum. Die Vornehmeren nannten sie scherzend nur die Sibylle, und die gemeinen Leute trugen kein Bedenken, sie geradezu für eine Hexe auszugeben. Man wußte nicht eigentlich, wo sie wohnte, auch mochte sie wohl keine Hütte oder eine ihr zugehörige Einkehr besitzen, weil man sie stets auf den Landstraßen traf und sie allenthalben in der Provinz umherschwärmte. Einige alte Jägersleute wollten behaupten, sie sei noch ein Nachkomme jener berüchtigten Zigeunerbande, welche Graf Moritz vor Jahren verfolgt und zerstreut hatte.
Indem wir in einem schönen Buchenwalde in Gesprächen wandeln, die uns ganz von der Außenwelt abziehn, steht plötzlich, bei einer Wendung des Fußsteiges, diese alte häßliche Sibylle vor uns. Wir waren verwundert, aber auf keine Weise erschreckt, denn wir waren beide in einer heitern Stimmung. Als wir die freche Bettlerin lachend mit einigen Münzen beschenkt hatten, kam sie, nachdem sie schon fortgesprungen war, in Eile zurück, indem sie sagte: Wollt ihr denn für euer Geld nichts prophezeit haben? – Wenn es was Gutes ist, erwiderte ich, so kannst du dir noch einige Groschen verdienen. Ich hielt ihr die Hand hin, die sie mit Aufmerksamkeit betrachtete und dann höhnisch sagte: Ihr habt, guter Gesell, eine ganz miserable Hand, an der jeder, auch der beste Prophet, zuschanden werden muß. So ein mittelmäßiges Geschöpf, wie Ihr es seid, ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen: weder klug noch dumm, weder böse noch gut, weder glücklich noch unglücklich. Ohne Leidenschaften, Geist, Tugend oder Bosheit, seid Ihr so recht einer der ABC-Schüler von unsers Herrgotts dummen Jungen, und Ihr werdet nicht einmal das kleine Verdienst haben, jemals in Eurem Leben Eure eigene Erbärmlich keit einzusehen. Aus der elenden Hand und dem nichtssagenden Gesicht ist gar nichts zu prophezeien, denn ein solcher trockner Baumschwamm, wenn er nicht erst präpariert und gebeizt ist, kann keinen Funken in sich aufnehmen: so könnt Ihr, Hans von Unbedeutend, in Eurer stumpfen Natur auch nichts erleben. –
Hier erhob sich im Saale von allen Zuhörenden ein lautes Gelächter. Daß Sie diese Rezension so auswendig behalten haben, sagte Anselm, macht Ihnen alle Ehre. – Nun, ist denn diese Prophezeiung in Erfüllung gegangen?
Der gutmütige Blomberg hatte mit den übrigen gelacht und sagte nun etwas empfindlich: Jetzt, Herr Baron, sind bei uns diese Wahrsager ausgestorben, sonst könnten sich unsere jungen Leute auch Rat holen, um an Selbstkenntnis zuzunehmen. Ich trage diese unbedeutende Begebenheit als Geschichtsschreiber mit der gehörigen Treue vor, und es kann dabei von der Kritik meines eignen Selbst nicht die Rede sein.
Sehr wahr, sagte die freundliche Wirtin: Sie, Baron, sind die Güte selbst; und wenn man so über sich selbst zu scherzen versteht, so haben die jungen Leute keine Ursach, aus diesem Scherz Ernst machen zu wollen.
Ich glaube gar nicht, sagte Sidonie mit gespitztem To ne, daß das alte Weib so zu unserm Freunde gesprochen hat, sondern ich meine vielmehr, er improvisiert diesen Pan egyrikus, damit wir ihm alle widersprechen und sein Lob in den lautesten Tönen singen sollen.
Dann hat er sich aber über die Maßen verrechnet, mei ne schnippische Schönheit, sagte Graf Blinden, denn ein solches beifälliges Lachen, wie er es erregt hat, kann ge wiß nicht für Widerspruch gelten. Fahren Sie fort, Freund.
Blomberg erzählte: Mein Freund Franz lachte nicht über meine Charakteristik und die Aussprüche des alten Weibes, sondern weil er mich liebte, ward er im Gegenteil böse und fuhr sie mit heftigen Redensarten an. Ebenso unbillig, als über die Worte
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