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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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halb­wahn­sin­nig in den Dör­fern her­um. Die Vor­neh­me­ren nann­ten sie scher­zend nur die Si­byl­le, und die ge­mei­nen Leu­te tru­gen kein Be­den­ken, sie ge­ra­de­zu für ei­ne He­xe aus­zu­ge­ben. Man wuß­te nicht ei­gent­lich, wo sie wohn­te, auch moch­te sie wohl kei­ne Hüt­te oder ei­ne ihr zu­ge­hö­ri­ge Ein­kehr be­sit­zen, weil man sie stets auf den Land­stra­ßen traf und sie al­lent­hal­ben in der Pro­vinz um­her­schwärm­te. Ei­ni­ge al­te Jä­gers­leu­te woll­ten be­haup­ten, sie sei noch ein Nach­kom­me je­ner be­rüch­tig­ten Zi­geu­ner­ban­de, wel­che Graf Mo­ritz vor Jah­ren ver­folgt und zer­streut hat­te.
    In­dem wir in ei­nem schö­nen Bu­chen­wal­de in Ge­sprä­chen wan­deln, die uns ganz von der Au­ßen­welt ab­ziehn, steht plötz­lich, bei ei­ner Wen­dung des Fuß­stei­ges, die­se al­te häß­li­che Si­byl­le vor uns. Wir wa­ren ver­wun­dert, aber auf kei­ne Wei­se er­schreckt, denn wir wa­ren bei­de in ei­ner hei­tern Stim­mung. Als wir die fre­che Bett­le­rin la­chend mit ei­ni­gen Mün­zen be­schenkt hat­ten, kam sie, nach­dem sie schon fort­ge­sprun­gen war, in Ei­le zu­rück, in­dem sie sag­te: Wollt ihr denn für eu­er Geld nichts pro­phe­zeit ha­ben? – Wenn es was Gu­tes ist, er­wi­der­te ich, so kannst du dir noch ei­ni­ge Gro­schen ver­die­nen. Ich hielt ihr die Hand hin, die sie mit Auf­merk­sam­keit be­trach­te­te und dann höh­nisch sag­te: Ihr habt, gu­ter Ge­sell, ei­ne ganz mi­se­ra­ble Hand, an der je­der, auch der bes­te Pro­phet, zu­schan­den wer­den muß. So ein mit­tel­mä­ßi­ges Ge­schöpf, wie Ihr es seid, ist mir in mei­nem gan­zen Le­ben noch nicht vor­ge­kom­men: we­der klug noch dumm, we­der bö­se noch gut, we­der glück­lich noch un­glück­lich. Oh­ne Lei­den­schaf­ten, Geist, Tu­gend oder Bos­heit, seid Ihr so recht ei­ner der ABC-Schü­ler von un­sers Herr­gotts dum­men Jun­gen, und Ihr wer­det nicht ein­mal das klei­ne Ver­dienst ha­ben, je­mals in Eu­rem Le­ben Eu­re ei­ge­ne Er­bärm­lich keit ein­zu­se­hen. Aus der elen­den Hand und dem nichts­sa­gen­den Ge­sicht ist gar nichts zu pro­phe­zei­en, denn ein sol­cher trock­ner Baum­schwamm, wenn er nicht erst prä­pa­riert und ge­beizt ist, kann kei­nen Fun­ken in sich auf­neh­men: so könnt Ihr, Hans von Un­be­deu­tend, in Eu­rer stump­fen Na­tur auch nichts er­le­ben. –
    Hier er­hob sich im Saa­le von al­len Zu­hö­ren­den ein lau­tes Ge­läch­ter. Daß Sie die­se Re­zen­si­on so aus­wen­dig be­hal­ten ha­ben, sag­te An­selm, macht Ih­nen al­le Eh­re. – Nun, ist denn die­se Pro­phe­zei­ung in Er­fül­lung ge­gan­gen?
    Der gut­mü­ti­ge Blom­berg hat­te mit den üb­ri­gen ge­lacht und sag­te nun et­was emp­find­lich: Jetzt, Herr Ba­ron, sind bei uns die­se Wahr­sa­ger aus­ge­stor­ben, sonst könn­ten sich un­se­re jun­gen Leu­te auch Rat ho­len, um an Selbst­kennt­nis zu­zu­neh­men. Ich tra­ge die­se un­be­deu­ten­de Be­ge­ben­heit als Ge­schichts­schrei­ber mit der ge­hö­ri­gen Treue vor, und es kann da­bei von der Kri­tik mei­nes eig­nen Selbst nicht die Re­de sein.
    Sehr wahr, sag­te die freund­li­che Wir­tin: Sie, Ba­ron, sind die Gü­te selbst; und wenn man so über sich selbst zu scher­zen ver­steht, so ha­ben die jun­gen Leu­te kei­ne Ur­sach, aus die­sem Scherz Ernst ma­chen zu wol­len.
    Ich glau­be gar nicht, sag­te Si­do­nie mit ge­spitz­tem To ne, daß das al­te Weib so zu un­serm Freun­de ge­spro­chen hat, son­dern ich mei­ne viel­mehr, er im­pro­vi­siert die­sen Pan egy­ri­kus, da­mit wir ihm al­le wi­der­spre­chen und sein Lob in den lau­tes­ten Tö­nen sin­gen sol­len.
    Dann hat er sich aber über die Ma­ßen ver­rech­net, mei ne schnip­pi­sche Schön­heit, sag­te Graf Blin­den, denn ein sol­ches bei­fäl­li­ges La­chen, wie er es er­regt hat, kann ge wiß nicht für Wi­der­spruch gel­ten. Fah­ren Sie fort, Freund.
    Blom­berg er­zähl­te: Mein Freund Franz lach­te nicht über mei­ne Cha­rak­te­ris­tik und die Aus­sprü­che des al­ten Wei­bes, son­dern weil er mich lieb­te, ward er im Ge­gen­teil bö­se und fuhr sie mit hef­ti­gen Re­dens­ar­ten an. Eben­so un­bil­lig, als über die Wor­te

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