18 Geisterstories
der Etikette nachgelassen, daß er sich selber töricht gefreut, daß seine Tochter durch meinen Umgang sich bilden und von mir lernen könne. Als er ernster wurde, und ich dem erschütterten Vater der Wahrheit gemäß bei meiner Ehre und bei Gott beteuern konnte, daß unsere Leidenschaft uns zu keinem Verbrechen hingerissen habe, daß unser Genius uns nicht verlassen, ward er wieder milde und sagte und verbot mir nur, was ich mir selber sagen konnte. Ich durfte die Tochter niemals wieder heimlich sehn; ich sollte durch Verstand und Charakter sie allgemach von dieser kranken Leidenschaft heilen, die ich töricht in ihr entzündet hatte, und mich dadurch seines Vertrauens und seiner Liebe von neuem würdig machen.
Mir war, so fuhr Franz fort, plötzlich wie eine Decke von meinem Angesicht genommen. Ich kann wohl sagen, daß durch diese eine Unterredung mein ganzes Wesen verwandelt war. Die Wahrheit, die Wirklichkeit war nun endlich mit siegender Gewalt auf mich eingedrungen. Manche Lebensperioden sind einem lebhaften, wundersamen Traume zu vergleichen, man erwacht zur Nüchternheit, aber man fühlt sich doch erwacht.
O mein Freund, diese Wahrheit aber war oder erzeugte mir die Hölle. Mein Geist gab dem edeln Vater in allen Dingen nach, er hatte recht, im vollkommensten Sinne des Wortes. Wenn ich Juliane bewunderte und ihren Wert erkannte, wenn sie mir Freundin war, und ich ihr wichtig genug, daß ich ihr Dasein erhöhen konnte, – was hatte das mit der Leidenschaft, mit dem Ringen nach ihrem Besitz zu tun? Von dieser Überzeugung war ich jetzt durchdrungen und dieses Gefühl tat mir wohl. Wie anders aber war es mit ihr! Wenden sich die Verhältnisse so, so werden in der Regel dann die Frauen in das verzehrende Feuer der Leidenschaft treten. Welche Briefe erhielt ich von ihr, nachdem ich ihr meinen Entschluß und den Rat, sich der Notwendigkeit zu fügen, mitgeteilt hatte! Ich sagte ihr fast nur dieselben Sachen, die ich früher, als mein Ungestüm in sie drang, aus ihrem schönen Munde gehört hatte. Aber ihr Ohr war jetzt ein anderes als damals. Taub jedem Rat, gefühllos jeder Freundlichkeit, unzugänglich jeder Überzeugung, hörte sie nur die wilden Eingebungen ihrer Leidenschaft. Meine Vernunft schien ihr Feigheit, meine Resignation nannte sie Niederträchtigkeit. Sie, einzig und allein, sie sollte bei dieser Frage, die jetzt in meinem Herzen war erörtert worden, berücksichtigt werden. Kurz, sie spielte jetzt dieselbe Rolle, die ich ihr früher dargestellt hatte. Da ich auf mein Betragen später mit Reue und Beschämung blickte, so glaubte ich, durch ruhiges Beharren sie auf denselben Punkt allgemach führen zu können. Aber meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Seltsam, daß ich jetzt deshalb geängstigt war, weil ich das im übervollen Maß besaß, was ich ehemals für mein höchstes Glück gehalten hätte: und daß sich jetzt mein innigster Wunsch nur erstreckte, sie zur Ruhe, ja Kälte und Gleichgültigkeit zurückführen zu können. So wunderlich behandeln uns oftmals die Götter in Austeilung ihrer Gaben. Meine Briefe verletzten sie, so sah ich aus ihren Antworten, immer tiefer. So kam es denn, daß ich selbst wünschen mußte, wieder einmal eine vertraute Unterredung mit ihr in einsamer Abend- oder Nachtstunde haben zu können, deren mir ehemals so viele zuteil geworden waren. Es gelang durch Bestechung, Bitte, Erniedrigung. Aber, o Himmel! wie war diese Juliane eine andere als jene, die mich ehemals entzückt und begeistert hatte! Sie glich in ihrem Schmerz, verletztem Gefühl und beleidigtem Stolz einer rasenden Bacchantin. Ich sagte mir, so wie ich zu ihr trat: Zu diesem Bilde also hat sie deine Liebe, Eitelkeit und
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