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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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war lang und die Wan­gen ein­ge­fal­len. So war die Un­glück­se­li­ge ei­ne son­der­ba­re Fo­lie für ih­re Schwes­ter Eli­sa­beth. Die Tan­te, als sie von dem gänz­li­chen Ver­fall des Hau­ses hör­te, war hin­zu­ge­tre­ten und hat­te ge­hol­fen, so­viel ih­re be­schränk­ten Kräf­te ver­moch­ten. So ward die jün­ge­re Toch­ter ge­ret­tet und blieb ge­sund, in­dem die Schwes­ter des Man­nes schon vor dem To­de der El­tern bei­de Kin­der zu sich nahm, um sie zu er­zie­hen und aus­zu­bil­den. Die kör­per­li­che Pfle­ge kam für Er­nes­ti­ne zu spät, aber ihr Geist ward ge­bil­det, ih­re Ta­len­te wur­den ge­weckt. Sie zeig­te sich ver­stän­dig, lern te leicht und be­hielt, was sie ge­faßt hat­te. Sie über­traf of­fen­bar die Schwes­ter an Witz und Ge­gen­wart des Geis­tes. Da sie gern phi­lo­so­phi­sche Schrif­ten las, so üb­te sie ihr Ur­teil und zeig­te einen so durch­drin­gen­den schar­fen Ver­stand, daß selbst Män­ner oft vor ih­ren ke­cken und schrof­fen Ur­tei­len er­schra­ken. Denn da Schön­heit und An­mut sie nicht mit ih­rem Ge­schlecht ver­ban­den, so üb­te sie nicht sel­ten ei­ne Ge­walt aus, die mehr als männ­lich war. Was aber an das Wun­der­ba­re grenz­te, war ihr großes mu­si­ka­li­sches Ta­lent. Nie­mals hat­te ich so das For­te­pia­no be­han­deln hö­ren. Al­le Schwie­rig­kei­ten ver­schwan­den, und sie lach­te nur, wenn man ihr von schwe­ren Pas­sa­gen sprach. Frei­lich half es der Un­glück­se­li­gen sehr, daß ih­re Hand und Fin­ger­span­nung al­les über­traf, was ge­sun­den Kla­vier­spie­lern mög­lich ist. Sie war aber auch in der Kunst des Sat­zes er­fah­ren und kom­po­nier­te mit Leich­tig­keit große Mu­sik­stücke, die wir dann oft zu ih­rem Er­göt­zen aus­führ­ten.
    Konn­te ein sol­ches We­sen nicht auf ihm eig­ne Art glück­lich sein? Ge­wiß, wenn sie sich re­si­gnier­te, wenn sie ver­ges­sen konn­te, daß sie ein Weib sei. Un­glück­li­cher­wei­se ver­ga­ßen es al­le Män­ner, die in ih­re Nä­he ka­men, sie aber konn­te sich über die­se Gren­ze bis zur Männ­lich­keit oder Ge­schlecht­lo­sig­keit nicht er­he­ben.
    Die­ses selt­sa­me We­sen zog mich durch sei­ne Vor­zü­ge so­wie durch sei­ne Wi­der­wär­tig­keit auf ei­ne ei­ge­ne Wei­se an.
    Wir mu­si­zier­ten, ich sang ih­re Kom­po­si­tio­nen, und wenn sie so auf­ge­regt war, blick­te aus dem klei­nen Au­ge ein wun­der­bar poe­ti­scher Geist, wie ein ver­hüll­ter, zum Stau­be er­nied­rig­ter En­gel mit ei­nem freund­li­chen und doch er­schre­cken­dem Glän­ze. Ich ver­gaß fast im­mer, daß sie die Schwes­ter mei­ner Eli­sa­beth sei.
    Eli­sa­beth hat­te frü­her schon ei­ni­ge Frei­er ab­ge­wie­sen, die sich sehr ernst­lich um sie be­wor­ben hat­ten. Als ich ein­mal un­an­ge­mel­det in das Vor­zim­mer trat, hör­te ich die bei­den Schwes­tern leb­haft spre­chen, und mein Na­me wur­de ge­nannt. Die­sen wirst du doch et­wa nicht an­neh­men? rief Er­nes­ti­ne: er sagt dir und uns nicht zu; sehr reich soll er auch nicht sein: aber er ist so hoch­mü­tig, so in sich selbst ge­nüg­sam, so von sei­ner Vor­treff­lich­keit über­zeugt und durch­drun­gen, daß er mir Wi­der­wil­len er­regt, so wie er nur zu uns tritt. Du nennst ihn lie­bens­wür­dig? edel? Recht­ha­be­risch, ei­gen­sin­nig ist er, und glau­be mir, sei­ne Geis­tes­ga­ben sind nicht von dem Ge­wicht, wie du sie an­zu­schla­gen scheinst.
    Eli­sa­beth nahm mit sanf­ter Stim­me mei­ne Ver­tei­di­gung, aber je­ne er­ör­ter­te al­les Schlim­me mei­ner Na­tur nur um so mehr und ging das Re­gis­ter al­ler mei­ner Feh­ler durch. Da so sehr von mir die Re­de ge­we­sen war, woll­te ich nicht so­gleich hin­ein­tre­ten, um sie nicht zu be­schä­men, und so hat­te ich ge­gen mein Er­war­ten ent­deckt, wel­chen Wi­der­wil­len die äl­te­re Schwes­ter ge­gen mich ge­faßt hat­te. Ich nahm mir vor, durch Freund­lich­keit und Wohl­wol­len die Un­glück­li­che mit mir aus­zu­söh­nen, de­ren Le­ben so we­nig Reiz und Freu­de hat­te. Als man sich be­ru­higt hat­te, trat ich ein und wir nah­men so­gleich, wo­durch ich mei­ne Ver­le­gen­heit am bes­ten ver­barg, uns­re

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