18 Geisterstories
war lang und die Wangen eingefallen. So war die Unglückselige eine sonderbare Folie für ihre Schwester Elisabeth. Die Tante, als sie von dem gänzlichen Verfall des Hauses hörte, war hinzugetreten und hatte geholfen, soviel ihre beschränkten Kräfte vermochten. So ward die jüngere Tochter gerettet und blieb gesund, indem die Schwester des Mannes schon vor dem Tode der Eltern beide Kinder zu sich nahm, um sie zu erziehen und auszubilden. Die körperliche Pflege kam für Ernestine zu spät, aber ihr Geist ward gebildet, ihre Talente wurden geweckt. Sie zeigte sich verständig, lern te leicht und behielt, was sie gefaßt hatte. Sie übertraf offenbar die Schwester an Witz und Gegenwart des Geistes. Da sie gern philosophische Schriften las, so übte sie ihr Urteil und zeigte einen so durchdringenden scharfen Verstand, daß selbst Männer oft vor ihren kecken und schroffen Urteilen erschraken. Denn da Schönheit und Anmut sie nicht mit ihrem Geschlecht verbanden, so übte sie nicht selten eine Gewalt aus, die mehr als männlich war. Was aber an das Wunderbare grenzte, war ihr großes musikalisches Talent. Niemals hatte ich so das Fortepiano behandeln hören. Alle Schwierigkeiten verschwanden, und sie lachte nur, wenn man ihr von schweren Passagen sprach. Freilich half es der Unglückseligen sehr, daß ihre Hand und Fingerspannung alles übertraf, was gesunden Klavierspielern möglich ist. Sie war aber auch in der Kunst des Satzes erfahren und komponierte mit Leichtigkeit große Musikstücke, die wir dann oft zu ihrem Ergötzen ausführten.
Konnte ein solches Wesen nicht auf ihm eigne Art glücklich sein? Gewiß, wenn sie sich resignierte, wenn sie vergessen konnte, daß sie ein Weib sei. Unglücklicherweise vergaßen es alle Männer, die in ihre Nähe kamen, sie aber konnte sich über diese Grenze bis zur Männlichkeit oder Geschlechtlosigkeit nicht erheben.
Dieses seltsame Wesen zog mich durch seine Vorzüge sowie durch seine Widerwärtigkeit auf eine eigene Weise an.
Wir musizierten, ich sang ihre Kompositionen, und wenn sie so aufgeregt war, blickte aus dem kleinen Auge ein wunderbar poetischer Geist, wie ein verhüllter, zum Staube erniedrigter Engel mit einem freundlichen und doch erschreckendem Glänze. Ich vergaß fast immer, daß sie die Schwester meiner Elisabeth sei.
Elisabeth hatte früher schon einige Freier abgewiesen, die sich sehr ernstlich um sie beworben hatten. Als ich einmal unangemeldet in das Vorzimmer trat, hörte ich die beiden Schwestern lebhaft sprechen, und mein Name wurde genannt. Diesen wirst du doch etwa nicht annehmen? rief Ernestine: er sagt dir und uns nicht zu; sehr reich soll er auch nicht sein: aber er ist so hochmütig, so in sich selbst genügsam, so von seiner Vortrefflichkeit überzeugt und durchdrungen, daß er mir Widerwillen erregt, so wie er nur zu uns tritt. Du nennst ihn liebenswürdig? edel? Rechthaberisch, eigensinnig ist er, und glaube mir, seine Geistesgaben sind nicht von dem Gewicht, wie du sie anzuschlagen scheinst.
Elisabeth nahm mit sanfter Stimme meine Verteidigung, aber jene erörterte alles Schlimme meiner Natur nur um so mehr und ging das Register aller meiner Fehler durch. Da so sehr von mir die Rede gewesen war, wollte ich nicht sogleich hineintreten, um sie nicht zu beschämen, und so hatte ich gegen mein Erwarten entdeckt, welchen Widerwillen die ältere Schwester gegen mich gefaßt hatte. Ich nahm mir vor, durch Freundlichkeit und Wohlwollen die Unglückliche mit mir auszusöhnen, deren Leben so wenig Reiz und Freude hatte. Als man sich beruhigt hatte, trat ich ein und wir nahmen sogleich, wodurch ich meine Verlegenheit am besten verbarg, unsre
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