18 Geisterstories
musikalischen Übungen vor, so wie die Tante gekommen war.
Nach einigen Besuchen gelang es mir wirklich, Ernestine freundlicher zu stimmen. Wenn sie mit mir allein war, vertieften wir uns zuweilen in die ernsthaftesten Gespräche, und ich mußte ihren Geist wie ihre Kenntnisse bewundern. Ich mußte ihr beistimmen, wenn sie in mancher Stunde von jenen Männern mit Verachtung sprach, die am Weibe einzig und allein den flüchtigen und wandelbaren Reiz achten und lieben, der mit der Jugend verschwindet. Sie schalt auch nicht ungern auf die Mädchen, die so häufig sich nur als Erscheinung geben und nur als solche gleichsam als Modepuppen oder Kleiderhalter gefallen wollen. Sie entfaltete ohne Affektation den Reichtum ihres Gemüts, ein tiefes Gefühl, großartige Gedanken, so daß ich, über diese mächtige Seele in Bewunderung aufgelöst, mich kaum ihrer verkrüppelten Gestalt mehr erinnerte. Sie drückte mir freundlich die Hand und schien ganz glücklich, wenn wir eine Stunde so weggeschwatzt hatten. Ich freute mich ebenfalls, als ich zu bemerken glaubte, wie ihre Freundschaft zu mir mit jedem Tage wuchs.
Es fiel mir als eine Schwachheit meiner Geliebten auf, daß sie mit dieser Vertraulichkeit unzufrieden war. Ich begriff diese kleinliche Eifersucht nicht und tadelte sie im stillen als zu große weibliche Schwäche. Mir war es im Gegenteil erwünscht, wenn mir Ernestine jetzt deutliche Beweise ihres Wohlwollens gab, wenn mein Eintreten sie erfreute, wenn sie ein Buch, ein Musikstück für mich zurechtgelegt hatte oder mir sagte, wie sie sich schon auf ein Gespräch mit mir über einen wichtigen Gegenstand vorbereitet habe. Diese echte Freundschaft schien mir so wünschenswert, daß ich mich schon im voraus freute, wie sie in der Ehe die schönste Ergänzung der Liebe im gegenseitigen Vertrauen bilden würde. Die Tante hatte meine Verbindung mit Elisabeth gebilligt, die Verlobung war jetzt gefeiert. Bei dieser war Ernestine nicht zugegen, denn sie war an diesem Tage krank. Ich sah sie auch am folgenden Tage nicht, und als ich sie aufsuchen wollte, sagte meine Braut: Laß sie noch, Lieber, sie ist so außer sich, daß es besser ist, ihre Leiden schaft austoben zu lassen. – Was ist denn begegnet? frag te ich erstaunt. – Sonderbar, antwortete Elisabeth, daß du es nicht schon seit langem bemerkt hast, welche glühende Liebe zu dir sie ergriffen hat. – Ich war stumm vor Schreck und Erstaunen. Dies Wort erschütterte mich um so mehr, weil ich, seltsam genug, eine Leidenschaft in diesem verständigen Wesen für ganz unmöglich gehalten hatte. Als wenn die Leidenschaft nicht immerdar gegen Möglichkeit, Wahrheit, Natur und Vernunft anrennte, wenn diese sich ihr widersetzen wollen, wie ich es ja selbst, auf ähnliche Weise, in meinem eigenen Leben erfahren hatte.
Ja, fuhr Elisabeth fort, fast zur nämlichen Zeit, als du erst in unser Haus tratest, bemerkte ich diese Hinneigung zu dir. Deutlicher zeigte sich ihre Vorliebe, als du anfingst, mich auszuzeichnen, als du mir freundlich wurdest und ich dir mein Vertrauen schenkte. Lange Zeit verbarg sie ihre Neigung unter einem vorgegebenen Haß, eine Verstellung, die mich nicht täuschen konnte. O Geliebter, der Geist und die Gefühle, Enthusiasmus und Leidenschaften dieses wunderbaren Wesens sind von so ungeheurer Kraft und Innigkeit, daß ich sie, seit ich zur Besinnung kam, ebenso sehr bewundern mußte, wie ich sie fürchte und vor ihrer Riesenstärke erschrecke. Als ich vor Jahren meinen Unterricht in der Musik nahm und nach dem Zeugnis meines Lehrers rasche Fortschritte machte, lachte sie nur über mein kindisches Wesen, wie sie es nannte. Sie hatte früher nicht daran
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