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18 Geisterstories

18 Geisterstories

Titel: 18 Geisterstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Kluge
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Schild, auf dem ein mol­li­ger Amor mit ei­ner um­ge­kehr­ten Fa­ckel in der Hand ge­zeich­net war; dar­un­ter prang­te die Auf­schrift: ›Hier wer­den ein­fa­che und an­ge­stri­che­ne Sär­ge ver­kauft und be­schla­gen, ge­brauch­te ver­mie­tet und re­pa­riert‹
    Die Mäd­chen gin­gen in die Stu­be, und Adri­an mach­te einen Rund­gang durch sein neu­es Haus. Dann setz­te er sich ans Fens­ter.
    Man weiß, das Sha­ke­s­pea­re und Wal­ter Scott ih­re To­ten­grä­ber als fi­de­le Pos­sen­rei­ßer ge­schil­dert ha­ben, um durch die­sen Ge­gen­satz un­se­re Fan­ta­sie an­zu­re­gen. Aus Re­spekt vor der Wahr­heit kön­nen wir je­doch ih­rem Bei­spiel nicht fol­gen und müs­sen ein­ge­ste­hen, daß das We­sen un­se­res Sarg­tisch­lers durch­weg sei­nem düs­te­ren Hand­werk ent­sprach. Adri­an Pro­cho­row war für ge­wöhn­lich miß­ge­launt und wort­karg. Er brach sein Schwei­gen nur, wenn er sei­ne Töch­ter an­fuhr, die un­tä­tig am Fens­ter sa­ßen und den Vor­über­ge­hen­den nach­gaff­ten, oder wenn er un­ge­bühr­lich ho­he Prei­se für sei­ne Er­zeug­nis­se von den Kun­den ver­lang­te, die das Un­glück, oder die Freu­de hat­ten, die­se drin­gend zu be­nö­ti­gen.
    So saß al­so Adri­an am Fens­ter und trank die sie­ben­te Tas­se Tee und war wie ge­wöhn­lich in sei­ne trüb­se­li­gen Ge­dan­ken­ver­sun­ken. Er dach­te an das Un­wet­ter, das vor ei­ner Wo­che auf den Lei­chen­zug des pen­sio­nier­ten Bri­ga­diers nie­der­ge­gan­gen war, und an die vie­len Trau­er­män­tel und Hü­te, die in­fol­ge der Näs­se ver­dor­ben und un­brauch­bar ge­wor­den wa­ren. Drin­gen­de Aus­ga­ben stan­den be­vor, da sich die oh­ne­hin ver­al­te­ten Ar­ti­kel sei­nes Ge­schäfts in ei­nem ge­ra­de­zu kläg­li­chen Zu­stand be­fan­den. Pro­cho­row hoff­te zwar, die Ver­lus­te bei der Be­er­di­gung der al­ten Kauf­manns­frau Trju­chi­na, die be­reits seit ei­nem Jahr im Ster­ben lag, wie­der wettz­u­ma­chen; aber die Trju­chi­na kämpf­te mit dem Tod am weit ent­fern­ten Ras­gul­jai, so daß der Sarg­tisch­ler be­fürch­te­te, ih­re Er­ben könn­ten einen an­de­ren Un­ter­neh­mer in ih­rer Nä­he mit dem Ge­schäft be­auf­tra­gen, an­statt, wie sie es ja aus­ge­macht hat­ten, zu ihm zu kom­men.
    Sei­ne Über­le­gun­gen wur­den plötz­lich durch ein drei­ma­li­ges Klop­fen un­ter­bro­chen. »Wer ist da?« rief Pro­cho­row.
    Die Tür ging auf, und ein Mann, in dem er auf den ers­ten Blick einen deut­schen Hand­wer­ker er­kann­te, trat ein und kam mit hei­te­rer Mie­ne auf ihn zu.
    »Ent­schul­di­gen Sie, ver­ehr­ter Nach­bar«, sag­te er auf rus­sisch mit ei­ner Aus­spra­che, die wir bis auf den heu­ti­gen Tag nicht hö­ren kön­nen, oh­ne da­bei zu lä­cheln, »ent­schul­di­gen Sie, wenn ich stö­re. Ich woll­te mich mit Ih­nen be­kannt­ma­chen. Mein Na­me ist Gott­lieb Schul­ze, ich bin der Schuh­ma­cher von ge­gen­über. Mor­gen ha­be ich mei­ne sil­ber­ne Hoch­zeit. Wol­len Sie und Ih­re Töch­ter die Gü­te ha­ben, an un­se­rem Fes­tes­sen teil­zu­neh­men?«
    Die Ein­la­dung wur­de be­reit­wil­lig an­ge­nom­men. Der Sarg­tisch­ler for­der­te Gott­lieb Schul­ze auf, Platz zu neh­men und mit ihm ei­ne Tas­se Tee zu trin­ken. Dank der Un­be­fan­gen­heit des Schus­ters ent­wi­ckel­te sich bald ein freund­schaft­li­ches Ge­spräch.
    »Wie ge­hen die Ge­schäf­te?« frag­te Adri­an.
    »He, he, he«, lach­te Schul­ze, »na ja, mal so, mal so. Ich kann mich nicht be­kla­gen. Mei­ne Wa­re ist na­tür­lich nicht das, was Ih­re ist: Le­ben­de kön­nen auf Stie­fel ver­zich­ten, To­te aber nicht auf den Sarg.«
    »Sehr wahr«, stimm­te Adri­an zu, »in­des, wenn der Le­ben­de nicht das Geld da­zu hat, Stie­fel zu kau­fen, so läuft er eben – nichts für un­gut – bar­fuß her­um, aber der to­te Bett­ler be­schafft sich einen Sarg um­sonst.«
    Auf die­se und ähn­li­che Wei­se un­ter­hiel­ten sich die bei­den noch ei­ne Wei­le, bis der Schus­ter schließ­lich auf­stand und sich von dem Sarg­tisch­ler ver­ab­schie­de­te, nicht oh­ne sei­ne Ein­la­dung zu wie­der­ho­len.
    Am an­de­ren Tag pünkt­lich zwölf Uhr ging der Sarg

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