18 Geisterstories
mehr oder weniger betrunken, ging man auseinander. Der dicke Bäckermeister und der Buchbinder, dessen Gesicht lebhaft an einen roten Saffianeinband erinnerte, hatten Jurko unter die Arme gefaßt und brachten ihn so ohne Zwischenfälle in seine Bude zurück, eingedenk des russischen Sprichworts: Wer seine Schuld bezahlt, vermehrt sein Gut.
Betrunken und verärgert kam der Sargtischler nach Hause. »Was soll das heißen?« murmelte er vor sich hin. »Ist denn mein Handwerk weniger achtbar als jedes andere? Will man es etwa dem eines Henkers gleichsetzen? Worüber machen sich eigentlich diese Ausländer lustig? Bin ich in ihren Augen vielleicht ein Hanswurst? Ich hat te vor, sie alle zur Einweihung meines neuen Hauses einzuladen und ihnen ein üppiges Festmahl vorzusetzen. Doch das ist jetzt vorbei! Diese Ketzer kommen mir nicht ins Haus. Ich lade die ein, für die ich arbeite: die in Christus Verschiedenen!«
»Was hast du denn, Vater?« fragte die Magd, die ihm die Stiefel auszog. »Du sprichst ja lauter wirres Zeug. Bekreuzi ge dich! Die Toten herbeirufen, welch ein grauenhafter Einfall!«
»Bei Gott, ich lade sie morgen zu mir ein. Ja, meine Wohltäter, kommt nur, erweist mir die Ehre, morgen abend! Ich bewirte euch mit allem, was Gott gibt.« Und Adrian warf sich auf sein Bett; er schlief sofort ein.
Es war noch dunkel, als Adrian geweckt wurde. Die Kaufmannsfrau Trjuchina war in der Nacht gestorben; ihr Geschäftsführer hatte einen reitenden Boten gesandt, um den Sargtischler zu benachrichtigen. Adrian gab ihm dafür ein silbernes Zehnkopekenstück Trinkgeld und zog sich eiligst an. Er nahm eine Droschke und fuhr auf den Rasguljai.
Vor dem Haus der Verstorbenen standen bereits Polizisten, und Kaufleute schnüffelten herum wie Krähen, die sich um ein Aas versammelt haben. Die Verschiedene lag auf einem Tisch, gelb wie Wachs und von Angehörigen, Nachbarn und Dienern umringt. Alle Fenster waren geöffnet. Kerzen brannten, und Geistliche lasen Gebete.
Adrian ging auf den Neffen der Trjuchina zu, einen jungen und nach der neuesten Mode gekleideten Kaufmann, und versicherte ihm, daß Sarg, Kerzen, Sargdecke und alles, was dazugehörte, unverzüglich geliefert werden würden. Der Erbe dankte ihm zerstreut und fügte hinzu, daß der Preis dabei keine Rolle spiele und er selber sich ganz auf die Gewissenhaftigkeit Prochorows verlasse. Der Sargtischler beteuerte wie immer in solchen Fällen, daß er nicht mehr verlangen werde, als angemessen sei. Dann wechselte er einen vielsagenden Blick mit dem Geschäftsführer und ging nach Hause, um die entsprechenden Maßnahmen zu treffen.
Den ganzen Tag über fuhr er zwischen dem Rasguljai und dem Nikitskij-Tor hin und her. Erst am späten Abend war alles in Ordnung gebracht; er entließ den Kutscher und ging wieder zu Fuß nach Hause. Vor der Himmelfahrtskirche am Nikitskij-Tor wurde er von unserem Bekannten Jurko angerufen. Dieser hatte ihn erkannt und wünschte ihm eine gute Nacht.
Es war schon spät. Als der Sargtischler an sein Haus kam, bemerkte er plötzlich, daß jemand seine Gartenpforte öffnete und hinter der Tür verschwand. Was soll das heißen, dachte er, braucht mich denn wieder jemand? Oder ist es ein Einbrecher, vielleicht gar ein Schürzenjäger, der bei meinen närrischen Töchtern einsteigen will? Etwas Gutes ist es bestimmt nicht! Während er noch überlegte, ob er seinen Freund Jurko rufen sollte, tauchte eine neue Gestalt auf und schien gleichfalls ins Haus eintreten zu wollen. Als diese aber den Sargtischler herbeilaufen sah, blieb sie stehen und nahm den dreieckigen Hut ab. Das Gesicht kam Adrian bekannt vor, doch konnte er sich im Augenblick nicht genau erinnern, wo er es schon mal
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