1801 - Die Herreach
Zuzug naturgemäß begrenzte.
Mittlerweile wurden nicht mehr Pflanzenreste verwendet, sondern zunehmend fester Stein. Steine waren allerdings schwer zu verarbeiten. Sie heranzuschaffen kostete oftmals mehr Kraft, als ein Herreach zu investieren bereit war.
So veränderte sich das Gesicht der Siedlung Moond. Collie hielt die Abschnitte zunächst mit seinen Steinzeichen, später auf speziell behandelten Blättern fest. Dazu mußte man Pflanzenfasern reiben, in einem Topf kochen und den Sud auf einer glatten Fläche auswalzen. Wenn das Zeug getrocknet war, dann hielt es gut zusammen. Es verdarb nicht mehr und ließ sich einfacher ritzen als Stein. Vor allem konnte man die Blätter endlos lagern. Wenn man sie übereinanderlegte, dann paßten viele Dutzend unter einen Tisch.
Seinen anerkannten Status behielt Collie, was immer sich auch ereignete. Er mußte niemals schwer arbeiten. Das war auch der Grund, wieso er langsamer als die anderen alterte.
Vieles spielte sich in seinem Kopf ab eben weil er die Muße hatte, lange und so gründlich wie möglich nachzudenken.
Mit der Zeit wandte er sich neuen Problemen zu. Die reine Beobachtung und Aufzeichnung von Pflanzenwuchs, das Registrieren neuer Hütten und Bewohner befriedigten ihn nicht mehr.
Am wichtigsten erschien ihm nun der sprechende Berg. Seine Rätsel hatten ihn niemals losgelassen, wenn er ehrlich war. Er fing an, ganze Schlafperioden am Berg zu verbringen. Mit einem Beutel voller Vorräte hockte er sich an den sandsteinfarbenen Rand, schaute die steilen Wände hinauf. Er bewunderte die Perfektion der Form, die es dem Hörensagen nach an keinem Ort der Welt ein zweites Mal gab.
Manchmal bildete sich Collie ein, im Schlaf Stimmen gehört zu haben. Vielleicht hieß es deswegen „sprechender Berg".
Er klopfte die Wände ab, suchte nach Höhlen, konnte selten etwas finden, was der Erwähnung wert gewesen wäre. Am interessantesten war der viereckige Umriß, den man nur bei günstigem Licht sah. Der Umriß bestand aus einer durchgängigen Nut im Felsen, er hatte drei vollständig gerade Seiten, die vierte Seite bildete der Erdboden. Das Viereck war siebzehn Meter breit. Die Höhe konnte Collie nicht messen, weil ihm eine hohe Leiter fehlte. Er schätzte jedoch, daß es zwanzig Meter waren.
Daß sie im Dorf manchmal abfällig sprachen, wußte er wohl. Aber es störte ihn nicht.
Und ganz am Ende wurde der mittlerweile älteste Herreach von Moond belohnt.
Das Erklingen der Stimme fiel mit einem besonderen Ereignis zusammen: Collie hörte die Worte, nachdem in der Siedlung Moond soeben das exakt tausendste Gebäude errichtet worden war. Ob beides auf eine geheimnisvolle, ihm unbekannte Weise zusammenhing, das wußte Collie natürlich nicht.
Als es plötzlich anfing, erstarrte der alte Herreach. Er schaute auf den Himmel mit seinen wirbelnden grauen Mustern, die noch keiner jemals erklärt oder vorhergesagt hatte, dann auf den sandsteinfarbenen Berg.
„Kummerog ist der Gott, der hinter den Toren des Tempels wartet ..."
Collie konnte nichts dagegen tun, er mußte plötzlich an den alten Gaan denken, der vor so langer Zeit gestorben war. Einmal im Leben würde er etwas Besonderes vollbringen ... Und dies war der Moment. Es war nicht einmal schwer, weil er ja nur zuzuhören brauchte. ‘
*
Das Dorf veränderte sich weiterhin, nachdem Collie längst gestorben war. Moond wurde zur ersten kleinen Stadt der Welt. Nahrungsmittel wurden längst aus dem Umland herbeigeschafft, die Wasser des Taumond stellten die wichtigste Lebensader dar.
Daß man sich an Collie weiter erinnerte, hatte weder mit der Thunam-Pflanze zu tun noch mit der Tatsache, daß er die vollständige, heute noch gültige Prophezeiung des Kummerog als erster gehört hatte. Sein eigentliches Verdienst lag in der Erfindung der sogenannten Collie-Blätter. Die Aufzeichnungen dienten als erste Urform von Schrift. Wissen wurde in der Stadt plötzlich konservierbar.
So kam es, daß die Prophezeiung wieder und immer wieder verbreitet wurde, bis sie auch der letzte Bewohner von Moond aus dem Gedächtnis zitieren konnte.
Kummerog ist der Gott, der hinter den Toren des Tempels darauf wartet, von den Herreach erlöst zu werden. Und wenn die Herreach weit genug vorangeschritten sind, in ferner Zukunft, dann werden sich die Tore öffnen, und der Gott Kummerog wird durch die Pforte zu ihnen kommen.. Dann wird der Himmel sich öffnen, und eine strahlend helle Hälfte und eine dunkle werden zum Vorschein
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