1807 - Die Haut des Bösen
Fremden zu sein als sie. Erließ ihren Arm los und trat an die Scheibe heran. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich ihr wieder zu.
Sein Gesicht war schlaff, die Augen hatten an Ausdruck verloren. Das Pharmakon wirkte in zunehmendem Maße und hemmte vor allem seine geistige Aktivität.
„Da stimmt was nicht", sagte ermühsam. „Hilf mir jetzt oder ich vernichte dich!"
Sie zweifelte nicht daran, daß seine Drohung ernst gemeint war, und trat näher an die Glasscheibe heran.
Unmittelbar neben ihr öffnete sich ein Durchgang; Bruno Drenderbaum wankte hindurch.
Kummerog rührte sich nicht. Er lag auf dem Rücken, sein Gesicht war gegen die Decke gerichtet.
Katie Joanne sah, daß neben einem schlichten Hocker etwas auf dem Boden lag. Es war eine gallertartige Masse, die sie an eine abgeworfene Haut erinnerte.
Hatte Kummerog sich gehäutet?
Wie unter Hypnose folgte sie dem Assistenten des LFT-Kommissars, der sich nur noch mühsam aufrecht hielt. Langsam wandte er sich ihr zu.
„Du bringst mich um mit dem Zeug, das du mir in den Kaffee getan hast", flüsterte er. „Du willst mich ermorden!"
Katie Joanne blickte sich gehetzt um. Sie nannte ihm das Gegenmittel.
„Es muß hier irgendwo sein", sagte sie. „So etwas findet sich in jeder Klinik."
Bruno Drenderbaum streckte die Arme haltsuchend aus und wankte auf sie zu. Seine Augen waren fast geschlossen.
Nun gelang es ihm nicht mehr, Worte zu formulieren. Er lallte nur noch.
Entsetzt wich die Journalistin zurück. Sie erkannte, daß er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. In ihrer Angst und Verzweiflung griff sie nach dem Hocker, hob ihn hoch und schleuderte ihn auf den Assistenten.
Erst als der Hocker durch die Luft flog, sah sie, daß die gallertartige Masse daran klebte. Drenderbaum war nicht in der Lage auszuweichen. Der Hocker schlug ihm gegen die Brust, und die Masse prallte gegen sein Gesicht.
Während der Hocker polternd zu Boden fiel, schob sich die Masse blitzschnell über seinen Kopf und breitete sich über seinen Körper aus. Der größte Teil verschwand unter seiner Kleidung. Katie sah, wie etwas von ihr aus den Ärmeln seines Hemdes hervorkam und sich über seine Hände stülpte wie eine zweite Haut.
Schreiend vor Entsetzen und Ekel flüchtete sie aus seiner Nähe, kam jedoch nicht weit. Nirgendwo öffnete sich ein Durchgang.
Die Journalistin versuchte es an verschiedenen Stellen, doch die Wände blieben stabil. Danach war ihr klar, daß sie den Raum nicht gegen den Willen von Drenderbaum verlassen konnte.
Sie war allein mit dem fremden Wesen und mit Bruno Drenderbaum, der von der seltsamen Masse überzogen worden war wie von einem lebenden Wesen.
6.
Bruno Drenderbaum wurde von einem mentalen Schock von ungeheurer Bösartigkeit gelähmt.
Er stand mitten im Raum und nahm seine Umgebung nur noch wie durch einen Grauschleier wahr. Die abgeworfene Haut Kummerogs besaß eine starke mentale Ausstrahlung, die auf seinen durch das Psychopharmakon geschwächten Geist traf. Drenderbaum wäre unter anderen Umständen vielleicht in der Lage gewesen, sich gegen sie zu behaupten. In dieser Situation war er zu keiner Gegenwehr fähig.
Dennoch versuchte er sich aufzubäumen. Er empfand Abscheu gegenüber dem organischen Wesen, das sich ihm wie eine zweite Haut übergestülpt hatte; sein Geist sträubte sich gegen das Fremde. Doch er war zu schwach; sein Bemühen scheiterte schon im Ansatz. .
Langsam sank er auf die Knie und vergrub sein Gesicht in den Händen. Drenderbaum erinnerte sich daran, wie er versucht hatte, Kummerogs Charakter zu erkennen. Es war ihm nur zum Teil gelungen. Er hatte nur eine Ahnung seiner Bösartigkeit.
Von dem Angriff der Haut war er vollkommen überrumpelt worden. Zu keiner Zeit in den vergangenen Tagen war ihm der Gedanke gekommen, daß es sich dabei um ein selbständig lebendes Wesen handeln könnte.
Ebenso wie die behandelnden Mediziner war er stets davon ausgegangen, -daß es sich bei den Hautlappen Kummerogs um abgestorbenes Gewebe handelte, wie bei Menschen, wenn sie Hautteile abschilferten. Jetzt erkannte er, daß die Haut sehr viel mehr war, daß sie sogar einen Willen hatte und diesen durchzusetzen wußte.
Es war der Wille Kummerogs!
Bruno Drenderbaum verfolgte, wie Kummerog sich von seinem Lager erhob. Er sah ihn auf sich zukommen. Sein eigenes Ich zog sich weiter und weiter zurück. Kummerog schien weit von ihm entfernt zu sein und den Raum zugleich doch bis in den letzten Winkel
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