1812 - Der wandelnde Tod
damit.
Ich musste auf das Ritual eingehen und fragte mich natürlich, wie es ablaufen sollte. Mit einer normalen Reaktion konnte ich dabei nicht rechnen.
Ich fasste ihn an. Spaß machte mir das nicht, aber es gab keine andere Möglichkeit. Der wandelnde Tod war eben etwas Besonderes. Ich hatte in meiner Laufbahn schon einiges erlebt, aber so etwas wie ihn nicht.
Seine Hand gegen meine Hand.
Da gab es Unterschiede. Während meine Hand die normale Temperatur oder Wärme zeigte, gab es bei seiner nichts zu beschreiben. Sie war einfach nur neutral. Nicht Fisch, nicht Fleisch.
Er schaute mich an. »Fertig?«
»Ja.«
»Und du weißt auch, was auf dich zukommt?«
»Das denke ich mir.«
Da lachte er. Und er sagte auch noch etwas, was ich nicht verstand. Ich merkte nur, dass der Griff seiner Hand fester wurde, und plötzlich erfasste mich auch ein komisches Gefühl. Oder eine andere Macht, die eine Kraft besaß, der kein Mensch widerstehen konnte.
Ich dachte an mein Kreuz und fragte mich, warum es nichts tat, sich nicht meldete. Dann waren die Gedanken wieder weg, denn es geschah etwas anderes.
Auch das war mir nicht neu, aber immer wieder faszinierend. Die Welt um mich herum zog sich zusammen, ich bekam plötzlich Angst, in einer Klemme zu stecken, ich sah auch, dass sich die Konturen auflösten.
Und dann war der letzte Kontakt mit der normalen Welt verschwunden. Etwas zerrte an mir und riss mich hinein in ein tiefes Dunkel …
***
Maria Lecco war bis zur Tür zurückgewichen. Automatisch legte sie eine Hand auf die Klinke, drückte sie auch und wunderte sich, dass die Tür nicht mehr verschlossen war. Über das Phänomen wollte sie sich keine Gedanken machen, sie wollte sich um das andere Phänomen kümmern. Sie hatte schon daran gedacht, das Zimmer zu verlassen, diesen Gedanken dann aber wieder verworfen, denn sie musste einfach sehen, was diese andere Gestalt vorhatte.
John Sinclair tat genau das, was der wandelnde Tod wollte. Er fasste ihn sogar an. Kaum hatten die beiden Kontakt bekommen, da passierte es.
Was Maria Lecco dann sah, das ließ sie einfach nur staunen. Zugleich überkam sie ein Gefühl der Furcht. Sie war plötzlich nicht mehr Herrin ihres eigenen Körpers. Sie hatte den Eindruck, wegzutaumeln. Aber sie war noch da, ganz im Gegensatz zu John Sinclair.
Dessen Gestalt löste sich auf.
Maria Lecco stand da wie festgenagelt. Sie konnte es kaum glauben. Sie atmete nur schwach durch die Nase und lauschte ihrem leisen Schnaufen. Sekundenlang tat sie nichts. Sie bewegte sich auch nicht, denn sie musste erst verdauen, was sie da erlebt hatte.
John Sinclair war nicht mehr da!
»Das kann nicht wahr sein«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf. Dann gab sie sich einen Ruck und ging dorthin, wo John gestanden hatte.
Er war wirklich weg!
Und er hatte nichts hinterlassen. Keinen Hinweis, wohin er wohl verschwunden war.
Sie schaute sich im Zimmer um wie jemand, der nach etwas sucht, aber nicht weiß, was es ist.
Aber da war nichts.
Was jetzt?
Es gab verschiedene Dinge, die sie hätte tun können. Sie hätte sich ins Bett legen können. Sie hätte auch das Haus verlassen können, um draußen in der Kälte einen freien Kopf zu bekommen.
Über beides dachte sie nach und beide Alternativen gefielen ihr nicht. Sie dachte an John Sinclair, der sich für sie eingesetzt hatte. Sie konnte ihn nicht im Stich lassen. Zwar war er verschwunden und sie konnte ihn auch nicht mehr zurückholen, aber sie musste wenigstens etwas versuchen. Wenn sie es schon nicht schaffte, dann wollte sie zumindest ihr Wissen weitergeben.
Darüber dachte sie nach.
Und sie dachte daran, was ihr Bruder ihr über John Sinclair erzählt hatte, dass er bei Scotland Yard arbeitete. Dort musste man wissen, was mit ihm passiert war. Möglicherweise bekam sie da einen Rat.
Maria Lecco nahm ihr Handy. Sie kannte die von Scotland Yard nicht und wählte deshalb die der normalen Polizei.
Nur einen kurzen Moment später wurde abgehoben.
Maria Lecco redete nicht erst lange um den heißen Brei herum, sie bat um die Nummer von Scotland Yard.
Die bekam sie.
»Ich danke Ihnen.«
»Ist es sehr dringend, was Sie auf dem Herzen haben? Wenn ja, dann sollten Sie reden. Vielleicht können wir Ihnen auch helfen.«
»Nein, nein, ich muss dort nur jemanden sprechen. Das ist alles. Es geht um keinen konkreten Fall.«
»Gut. Dann einen schönen Tag noch.«
»Danke. Für Sie auch.«
Maria Lecco atmete auf. Sie hoffte, das Richtige zu tun, und
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