1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
wehmütig an. »Es gibt indessen etwas in der Seele des Mannes,« fuhr er fort, »wodurch ihm das Schicksal, von welchem unsere Freunde getroffen sind, erleichtern wird, was eine Frau jedoch nicht in Anschlag zu bringen weiß. Ich meine jenes, allen Männern eigene Ehrgefühl des Mutes, der in der Gefahr schon einen Adel der Tat erblickt, der sich für jedes kühne Unternehmen, eben weil es kühn ist, begeistern kann, ohne sich um den Zweck desselben zu kümmern. Nicht allein dem Stande des Soldaten gehört diese Gesinnung an, sondern sie ist ein Eigentum des Mannes überhaupt. Und wäre dies auch nicht, so gesellt sich doch selbst der notgedrungenen Wahl eines Standes sogleich das Pflichtgefühl des Berufs zu. Die Würfel des Schicksals, welche unser Los zu entscheiden hatten, sind einmal gefallen; Ereignisse kennen sowenig ein Umwenden auf der Bahn des Vorwärts als der fliegende Pfeil der Zeit selbst; und haben uns Wahl, Zufall, Glück oder Notwendigkeit einmal auf einen Standpunkt gestellt, so wollen wir ihn auch würdig in freier Kraft des Willens behaupten. Die Vergangenheit ist abgeschlossen, ihre Tore schlagen hinter uns zu; nur vorwärts steht die Bahn noch offen; wie unfreiwillig wir auch hineingeschleudert wurden, jetzt ist unsere Aufgabe die, uns würdig zu behaupten. Darin finden wir Trost, Stärkung, ja Erhebung, und nimmermehr wird uns die Kraft versiegen, das Notwendige mit Freiheit zu erfüllen.« Rasinski hatte, indem er auf diese Weise seine Gesinnungen in einer festen Form aussprach, sich dieselben klarer zum eigenen Bewußtsein gebracht und so in diesem Augenblicke, wo er ihrer bedurfte, die Kraft selbst gefunden, von der er sprach. Wie vergeblich alle Scheingründe des Trostes sein mögen, die wahrhaften richten auch das gebeugteste Herz auf. So auch hier; was Rasinski aus tiefstem Bewußtsein seiner männlichen Seele gesprochen hatte, war auch in die weibliche eingedrungen. Er hatte den einzigen festen Boden, auf dem Trost und Hoffnung sichere Anker werfen konnten, aufgefunden; der Nachen schwankte nicht mehr so unstet auf den sturmbewegten Wellen. Doch in Mariens Herz drückte sich ein neuer verwundender Stachel; denn wieviel schwerer mußte es ihr jetzt werden, einem Manne zu entsagen, bei dem die zarte, schwankende Blüte der Liebe sich an eine so feste Stütze der Achtung emporranken konnte.
Die düstere Beklemmung, welche bisher so schwer auf allen gelastet hatte, war verschwunden; die Betäubung des Schmerzes hatte aufgehört, das Herz begann auch seine Segnungen und Heilungen, die er stets mit sich führt, zu empfinden. »Sie sind ein treuer, redlicher Freund,« sprach die Mutter und drückte Rasinski die Hand; »wie erkenne ich es als eine unaussprechliche Wohltat Gottes, daß gerade Sie in diesen verhängnisvollen Tagen der Führer und Beschützer meines Sohnes sein werden! Ich sehe darin ein Pfand seiner Huld; das uns eine glückliche Lösung dieser verworrenen Fäden des Schicksals verspricht. In diesem Vertrauen unterwerfe ich mich beruhigt seinen Fügungen.«
»So werden wir denn nicht in Zwiespalt, sondern als liebende Freunde scheiden«, antwortete Rasinski.
»Und Sie können fragen?« rief die Mutter lebhaft. »Welchen Grund könnten wir wohl zu einer mißwollenden Empfindung auffinden gegen den, der uns das Liebste gerettet hat und es noch jetzt in seine treue Obhut nehmen will?« Rasinski küßte die mütterliche Hand mit Ehrfurcht und Innigkeit; er war sehr bewegt. Es ward ihm zumute, als kehrten Tage seiner Jugend zurück, aus denen das Bild seiner eigenen ehrwürdigen Mutter, die freilich schon längst dahingegangen war, ihm mit treuer Lebendigkeit der Erinnerung vor die Seele trat. Das Gefühl, Sohn zu sein, welches die Jahre schon längst aus seinem Herzen verwischt hatten, durchdrang ihn plötzlich mit der alten Wärme und Ehrfurcht. O wie gern hätte er die, gegen welche sein Herz die Gefühle des Sohnes empfand, auch mit dem Namen der Mutter gegrüßt! Eine heilige Stille des Schmerzes herrschte in dem Gemach; eine späte Nachtigall, deren Töne man durch das offene Fenster in der lauen Mainacht vernahm, warf auch die süß beklemmenden Anregungen der Frühlingswehmut in die Brust. Marie stand auf, trat ans Fenster und neigte ihr von Tränen überströmtes Antlitz in die kühlenden Blätter und Blüten eines reichbelaubten Rosenstocks. Das Mondlicht berührte sie mit seinem milden Strahl; sie hob das schöne Haupt aus der Blumenhülle empor und blickte fromm gegen
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