1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Pflichterfüllung in seiner Brust. Mit freier Stirn wollte er vor seinen Kriegern erscheinen, damit des Führers heitere Zuversicht auch in ihnen Mut und Vertrauen erwecken möge; er wollte es, wollte es fest, und deshalb war es ihm möglich. Das Erscheinen der Frauen störte ihn daher nicht im mindesten in seinen kriegerischen Anordnungen; ohne einen Blick von seinen Leuten zu verwenden, ohne die mindeste Kleinigkeit außer acht zu lassen, wußte er doch der Schwester wiederholt bemerkbar zu machen, daß ihre Anwesenheit und ihre ermutigende Teilnahme ihn erfreue. Anders war es mit Jaromir; dieser ließ sich durch den Anblick der Geliebten zerstreuen und gab darüber seinen Kameraden einen Anlaß zum mutwilligen Spott und Lachen; denn indem er die Augen nach dem Balkon richtete, ritt er unachtsam mitten in seine eigenen Leute hinein und brachte diese und die Pferde völlig in Verwirrung. Boleslaw dagegen raffte sich mit Gewalt zusammen und heftete die gespannteste Aufmerksamkeit auf seinen Dienst. Mit scharfem Auge musterte er Leute, Pferde, Zäumung, Gepäck; nur einmal warf er, gleichsam wie zu einem flüchtigen, verstohlenen Raub, einen Blick nach den weiblichen Gestalten droben hinauf.
Das Regiment stand jetzt dem Palaste gegenüber in dem ansehnlich breiten Raume der Straße in Front aufmarschiert. Alle Fenster der gegenüberstehenden Häuser waren mit Zuschauern und Zuschauerinnen erfüllt. Manche Träne glänzte in schönem Auge, oder barg sich hinter dem Schleier, der nach alter Sitte die polnischen Mädchen beim öffentlichen Erscheinen von den verheirateten Frauen unterscheidet.
»Richtet euch!« erscholl Rasinskis Kommandowort, und wie ein Pfeil sprengte er auf den rechten Flügel hinab, um mit seinem Falkenblick die Linie einzurichten. Jetzt herrschte die lautlose Stille des Dienstes; jedes Auge war auf den Führer gespannt, jedes Ohr lauschte auf seine Worte. »Gewehr auf!« Die Säbel blinkten. »Erster Zug, geradeaus! In Zügen rechts schwenkt! Marsch!« Die Front brach sich; der fröhliche Kriegsmarsch der Trompeten erschallte, Rasinski sprengte an die Spitze des Regiments und führte dasselbe im feierlichen Zuge unter den Fenstern des Palastes vorüber. Als er an den Balkon kam, salutierte er auf militärische Weise und grüßte zugleich mit leuchtenden Augen hinauf. Die Gräfin schwang zur Erwiderung ein weißes seidenes Tuch, das sie leicht um den Hals geknüpft hatte. Nach der schönen, altpolnischen Sitte, welche den Frauen gestattete, ausziehenden Kriegern öffentlich ein Andenken von ihrer Hand mitzugeben und so durch den zarten aber mächtigen Anhauch aus weiblicher Brust den Mut höher zu entflammen; nach dieser Sitte, der in ältern Zeiten die Fürstinnen besonders huldigten, ließ sie das Tuch hinabflattern. Rasinski fing es mit der Säbelspitze auf und schlang es um den Arm. Ein lauter, jubelnder Beifallsruf der ganzen Schar ertönte bei diesem Anblick. Sogleich flatterten aus allen Fenstern Tücher, Bänder, Schleier herab. Nicht die Schwester schenkte dem Bruder, nicht die Braut dem Verlobten, nicht die Gattin dem Gatten ein Angedenken; nein, die Polin gab es dem Polen. Mit den Lanzen, mit den Säbeln fingen es die Krieger auf. Eine schöne Frau, mit reichem, dunkelm Lockenhaar, die dem Palaste gegenüber an einem Fenster stand, zerriß ihren Schleier und ließ beide Hälften herniederwehen. Zufällig waren es gerade Ludwig und Bernhard, die sie mit den Lanzenspitzen auffingen. Der feurige Bernhard warf flammende, begeisterte Blicke und in übermütiger Keckheit sogar einen Kuß hinauf; die Schöne lächelte holdselig. Ludwig grüßte in ernster Bewegung; er dachte an eine andere Gestalt, die für ihn in dem weiten öden Reiche alles Verlorenen schwebte. Doch trafen auch ihn die Strahlen der freundlichen Blicke mit sanfter Wärme. Bernhard rief französisch hinauf: »Ich bin kein Pole, aber ich fechte freudig für Polen.« Sein Lohn war eine Rose, welche die Schöne von einem neben ihr im Fenster stehenden Stocke brach und hinabwarf. Er ergriff sie im Fallen mit Gewandtheit, steckte sie an die Brust, grüßte dankend noch einmal zu der Geberin hinauf und sprengte dann wieder in die Reihen.
Lodoiska war unschlüssig, was sie tun sollte. Den Schleier mochte sie nicht hinabwerfen, weil er ihre tiefe Trauer vor den Augen der Welt verhüllte. Doch löste sie rasch eine Busenschleife und ließ sie zu Jaromir niederflattern. Allein der neidische Wind entführte sie, und Boleslaw war der
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