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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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oder den Sporn zu geben, je nachdem es zu stocken oder in zu lebhaften Fluß zu kommen drohte.
    »Ich bin fertig«, rief er, nachdem etwa zwei Stunden vergangen waren, und sprang mit dem Blatt in der Hand auf. Neugierig drängten sich alle hinzu, um seine Arbeit zu betrachten. Er trat einige Schritte zurück und hielt das Blatt, neckend, mit der Rückseite der Gesellschaft entgegen. »Nur keine Spannung, nur keine Erwartung,« rief er; »es ist ein halb mißlungener Scherz, nichts weiter. Hätte ich Zeit, ihn morgen zu wiederholen, so würde ich das Blatt verbrennen, bevor irgend jemand es gesehen hätte; das beteuere ich hier bei meiner Künstlerehre, die ich soeben ein wenig an den Pranger zu stellen im Begriff bin.«
    Jetzt drehte er das Blatt um; man sah zwei Zeichnungen darauf. Die erste stellte Lodoiska dar, die zweite Jaromir, beide im Brustbilde, nur leicht, aber geistvoll ausgeführt und sprechend ähnlich. Alles erfreute sich des gelungenen Werks und bewunderte die geniale Ausführung. Insbesondere war Jaromir vor Freude außer sich und rief beglückt aus: »Welch ein herrliches Geschenk, welche doppelte Überraschung! Wie soll ich dir diese Freude jemals danken! Nun kann ich das Bildnis der Geliebten mit mir nehmen und ihr das meinige lassen.«
    Ludwig war der einzige, der die Zeichnungen mit sorgfältigerer Aufmerksamkeit betrachtete; nach einigen Augenblicken sprach er lächelnd: »Ich wußte in der Tat anfangs nicht, weshalb du die gotischen Rahmen um die Köpfe gezogen hattest; da ich dich aber kenne, so vermutete ich gleich eine Ursache und glaube, nunmehr sie gefunden zu haben. Der Einfall ist sehr gut, und ich glaube noch besser ausgeführt.«
    »Ja, ja, du kennst meine Schliche,« entgegnete Bernhard, »und weißt, daß ich selten hundert Schritte geradeaus gehe. Irgendein Quer- oder Bockssprung aus dem geraden Wege ist mir einmal zum Bedürfnis geworden, denn der Eulenspiegel sitzt mir unabänderlich, seit meiner Geburt, im Nacken.«
    Nach diesem Gespräch wurden die übrigen ungemein begierig, das Geheimnis zu entdecken. Sobald man einmal darauf aufmerksam wurde, war es sehr leicht. Bernhard hatte nämlich um jeden Kopf einen viereckigen, scheinbar altmodisch geschnörkelten Rahmen gezeichnet; jede Ecke desselben zeigte ein Gesicht, und zwar die äußerst wohlgetroffenen Bildnisse der Anwesenden. An den beiden obern Seiten waren Rasinski und seine Schwester, unten Ludwig und Boleslaw abgebildet. Überdies hatte er jedem Rahmen einen Knopf gegeben, in welchen sein eigenes Gesicht mit satirischem Ausdruck hineingezeichnet war, als ob es spöttisch auf sein Werk drunten herabsähe. Diese scherzhafte, aber doch sehr angenehme Zugabe zu dem Geschenk wurde mit dem lebhaftesten Beifall aufgenommen. Bernhard erhielt Lobsprüche von allen Seiten, und namentlich Jaromir äußerte seine Freude mit liebender Zutätigkeit. »Ein solches Bild,« rief er aus, »macht mich wahrhaft glücklich, ja es macht mir jetzt mehr Freude, als ob ich das schönste Gemälde von meiner Lodoiska besäße. Denn dieses kann ich ja immer bei mir tragen und mich an seinem Anblick erquicken. So treu ihr liebes Bild mich überall begleiten wird, es ist doch etwas anderes, wenn man es so wirklich mit den Augen sehen kann.«
    »Ebenso gewiß,« erwiderte Bernhard, »als es noch etwas anderes und tausendmal Schöneres ist, wenn man die Geliebte selbst vor sich sieht. Nicht wahr?« Lodoiska senkte das schöne Auge ein wenig, da Bernhard sie bei diesen Worten anblickte; doch sie erhob es alsbald wieder und sah mit einem unbeschreiblichen Ausdruck der Liebe zu Jaromir hinauf, als wolle sie damit Bernhards Worte bestätigen.
    Soviel Grund jeder einzelne in der Gesellschaft zur ernsten Stimmung hatte, so war doch durch dieses kleine Ereignis ein so angenehmes, heiteres Licht in die dunklere Färbung der Gemüter gefallen, daß man, wenn nicht fröhlich, doch sehr traulich und sanft-heiter gestimmt war.
    So bewährte die Kunst also auch hier ihren schönen Beruf, in den rauhen Ernst des Lebens vermittelnd einzuschreiten und seine dunkeln, mühsamen Pfade zu erhellen und zu ebnen. O, nicht genug können wir es der Milde des Schöpfers danken, daß er eine schöne Gestalt aus seinem Himmel herabsendete, deren Beruf es ist, die scharfen Umrisse der Wirklichkeit durch eine sanfte Farbengebung zu verschmelzen und über den tobend herabstürzenden Gießbach der Leidenschaften den schimmernden Staubregenbogen zu breiten, der uns beweist, daß die

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