1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
vergeblich wird er auf eine Schlacht hoffen, vergeblich in rastlosen Märschen Tag und Nacht die Kräfte seines Heeres erschöpfen, um das ewig vor ihm schwebende Scheinbild eines Sieges zu erhaschen. Nirgends soll er eine Ruhestätte für die Ermatteten finden, überall muß ihn die öde, schauerliche Wüste empfangen, so daß Mutlosigkeit und endlich Empörung die Bande zwischen Heer und Feldherrn lösen.«
»Gebe der Himmel,« sprach die Gräfin halb seufzend, »daß der Plan gelinge, daß so viele Opfer nicht vergebens sein mögen!«
»Was wird geopfert werden,« entgegnete Ochalskoi, »als einige wenige Dörfer und Städte, die gegen den ungeheuern Raum unsers Reiches verschwinden! Und denen, welche verlieren müssen, wird es die Gnade des Kaisers reichlich ersetzen.«
»Doch wo bleibt Feodorowna?« fragte Dolgorow, welcher schon mehreremal unruhig nach der Tür geblickt hatte. »Geht hinüber,« gebot er einem Diener, welcher an der Tür stand, um jedes Winkes gewärtig zu sein, »und meldet der Gräfin Feodorowna, daß uns ihre Gegenwart im Saale sehr erwünscht sein werde.« Der Diener ging, kam jedoch nach einigen Minuten zurück und berichtete, es seien Mädchen aus dem Dorfe auf dem Zimmer der Gräfin. – »Gewiß ihre Jugendgespielinnen,« bemerkte die Mutter, »welche sie gleich hat zu sich laden lassen.«
»So werden wir wohl noch eine Stunde warten müssen«, sprach Dolgorow verdrießlich. »Jedenfalls sagt der Gräfin, daß wir sie zum Abendessen erwarten, und tragt Sorge, daß bald angerichtet werde. Denn ich denke,« wandte er sich zu den übrigen, »Sie werden alle so hungerig und müde sein wie ich, der ich mich in der Tat durch die Reise etwas angestrengt fühle.«
Zweites Kapitel.
Feodorowna war kaum in ihrem Gemach angelangt, als sie ihr Kammermädchen hinabschickte, um einige junge Mädchen zu rufen, welche mit ihr im Schloß als Gespielinnen erzogen worden waren. Das Los dieser Armen erschien ihr äußerst traurig; denn nachdem sie das Glück besserer Verhältnisse und höherer Ausbildung kaum gekostet hatten, mußten sie in den nun erst recht drückenden Stand dienstbarer Leibeigenschaft zurückkehren und die düstern Wohnungen und Beschäftigungen ihrer Eltern teilen. Darum gedachte sie dieser Genossinnen ihrer Kindheit, mit denen sie so manche Stunde der unbefangensten Freude durchlebt hatte, stets mit ganz besonderer Liebe. Es waren drei Töchter der Landleute, mit denen sie aufgewachsen war: Kathinka, Olga und Axinia. Alle drei waren in Feodorownas Alter; Kathinka und Olga, gute Geschöpfe, doch in jener beschränkten, demütigen Ansicht, welche dem Leibeigenen durch alle Verhältnisse des Lebens aufgedrungen wird, fast untergegangen. Sie empfingen daher die Zeichen der Liebe und die Geschenke, welche Feodorowna ihnen mitgebracht hatte, nur mit einer unterwürfigen Dankbarkeit, ohne den Mut zur Äußerung der Freude zu haben. Axinia dagegen zeigte eine tiefe, zitternde Rührung; sie war dankbarer für die Liebe als für die Gaben derselben; doch sagten die Tränen, welche ihre Wange benetzten, noch etwas anderes. Es schien ein geheimer Kummer auf ihrer Seele zu lasten. Feodorowna, welche teilnehmend nach allem fragte, was die Lebensumstände ihrer Jugendgespielinnen anging, suchte auch Axiniens Kummer zu erforschen. Doch das schüchterne Mädchen blickte scheu zur Erde; ihre Tränen flossen reichlicher, aber sie schwieg und seufzte nur aus tiefer Brust.
In diesem Augenblick trat gerade der Diener ein, der ihr die Aufforderung des Vaters, beim Abendessen zu erscheinen, überbrachte, »Man erwartet mich wohl schon?« fragte Feodorowna.
»Se. Exzellenz,« erwiderte der Diener sich tief verneigend, »haben wenigstens befohlen, daß schleunigst aufgetragen werde,«
»Meldet meinem Vater, ich würde sogleich kommen«, erwiderte Feodorowna und winkte dem Diener, sich zu entfernen. »Ich muß euch jetzt entlassen,« sprach sie zu den Mädchen, »allein morgen in der Frühe besucht mich wieder. Und so hoffe ich euch die Zeit hindurch, die ich hier verweilen kann, wenigstens jeden Tag zu sehen.« Die Mädchen gingen; nur Axinia zögerte, als habe sie noch etwas auf dem Herzen. »Wünschest du noch etwas, Liebe?« sagte Feodorowna, als sie das Zögern des Mädchens bemerkte, und nahm sie freundlich bei der Hand.
Axinia, in Tränen, vermochte nicht zu antworten; sie zitterte. »Willst du mir's allein anvertrauen?« – »Ja, ja!« rief die Weinende heftig. – »Nun so komm morgen ganz
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