Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
Vom Netzwerk:
weichen wollte, so kam man freilich noch weniger vorwärts. Da rief endlich der Baron Erlhofen, einer der Anordner des Festes, der als ein wohlbeleibter Vierziger schon einiges Ansehen hatte, mit lauter Stimme um Gehör. Man verlangte allgemeine Stille, um seine Rede zu vernehmen. Er sprang munter auf einen abgestumpften Baumstamm, schwenkte sein Tuch, um die Zuhörer herbeizuwinken, und als sich eine ansehnliche Korona um ihn versammelt hatte, begann er folgendermaßen: »Höchst ehrenwerte Versammlung! Ich bin weder Cicero noch Demosthenes, aber beide Redner würden in meinem Falle fast ebensoviel Schwierigkeiten haben als ich; denn das Unübersteigliche ist für alle gleich. Die Weltgeschichte meldet uns viel von der Verwirrung beim Turmbau zu Babel, sie spricht von den Irrgängen des Labyrinths, von den unlösbaren Verschlingungen des Gordischen Knotens, von den gemischten Sämereien, welche Aschenbrödel auseinander lesen mußte, von den unauflöslich verwickelten Beinen der Schildbürger – alles aber verschwindet gegen die furchtbare Verwirrung und Verblendung, mit welcher ein Gott oder ein Dämon uns in unberechenbares Unheil zu stürzen beabsichtigt. Die eisernen Männer, welche aus den Drachenzähnen emporwuchsen, die Jason auf Medeens Geheiß mit den feuersprühenden Stieren untergepflügt hatte, erschlugen einander um den Stein, den der Räuber des Goldenen Vlieses unter sie warf, nicht mit solcher Erbitterung, als wir, edle Freunde, im Kampfe um die Teplitzer Mietwagen fast schon gezeigt hätten. Trojaner und Griechen fochten nicht so entbrannt um die treulose Helena, ja selbst Here, Pallas und Aphrodite stritten nicht so giftig um den Apfel der Eris als unsere Schönen um die Plätze dort in der Reihe der stolz aufgefahrenen Wagenburg. Alle Weisheit des Minos oder des Königs Salomo wäre nicht imstande, diesen Streit zu schlichten. Ob es daher unbescheiden von mir sei, falls ich mich ein wenig höher anschlüge, als diese beiden, wenn ich ein Auskunftsmittel gefunden hätte, welches alles schlichtete; ob ich in einem solchen Falle nicht eine Lorbeer-, Eichen- und Mauerkrone zugleich verdient hätte: darüber mögen die Gerechten in dieser erlauchten Versammlung entscheiden. Mein Vorschlag aber ist der, da doch einmal eine Revolution in unserm nomadischen Wanderstaate unvermeidlich ist, sogleich ein wahrhaft lykurgisches Gesetz zu geben, und Freiheit und Gleichheit ungemein vollkommener herzustellen als in der französischen Republik, dadurch, daß wir allen Privatbesitz aufheben und jene sämtlichen stattlichen Wagen und Rosse für Nationaleigentum erklären. Doch dies ist noch nicht genug; mein republikanisches Gemüt verstattet nicht einmal, daß man sich selbst als Privateigentum besitze. Es werde daher unsere Gesellschaft gewissermaßen als Schiffsgut gleichmäßig auf jene unsere zahlreiche Flotte verladen, welche sich von der englischen durch wenig anderes unterscheidet, als daß diese mit ausgespannten Segeln, die unserige mit angespannten Pferden vorrückt. Um die gleiche Verteilung zu bewirken, scheint mir's, verehrteste Freunde, am angemessensten, daß wir eine Polonäse aufführen, und so uns tanzend zu zwei und zwei Paaren einschiffen. Findet dieser Vorschlag, der uns aus einer der schrecklichsten Kalamitäten des Lebens retten soll, Ihren Beifall, meine Schönen, so bekunden Sie es dadurch, daß Sie Ihre zarte Hand den auffordernden Rittern reichen, und mir, der ich als dux gregis, wozu mich die vorwaltende Kapazität meines Geistes erhoben hat, voranzugehen beabsichtige, willig paarweise nachfolgen.«
    Nach dieser im ernstesten Tone von dem Baron gehaltenen Rede erhob sich ein allgemeiner Beifallsruf, und man nahm sein Gesetz zuerst durch Akklamation und dann durch die Tat an, indem man ihm, als er die Gräfin Micielska aufforderte, sogleich folgte. Jeder Herr, der nicht beritten gewesen war, reichte einer Dame die Hand, ja sogar einige, die sich schon in die Wagen gesetzt hatten, weil ihre Ansprüche nicht bestritten worden waren, stiegen wieder aus und unterwarfen sich ebenfalls dem neuen Lykurgus. Erlhofen führte den Zug einigemal auf dem Rasen umher, bis sich alles geordnet und angeschlossen hatte, und alsdann nahm er seinen Weg nach dem nächsten Wagen, den er mit dem ihm folgenden Paar bestieg. So ordnete sich alles auf das beste und schnellste, und selbst die strengsten Mütter und Aufseherinnen ließen für diesmal die Anordnungen des Zufalls gelten, selbst wo er nur ganz

Weitere Kostenlose Bücher