1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Städtchens; alle Köpfe drehten sich nach der Ecke, wo die Gasse vom Tor in den Markt einlief. Ein Jubelgeschrei erhob sich unter den Kindern, als die Schimmel, welche den vordersten Wagen zogen, aus der Gasse zum Vorschein kamen. »Laßt uns die Kinder nachahmen,« rief Heilborn, »und salutieren!« Dabei zog er sein Schnupftuch aus der Tasche und schwang es hoch in die Lüfte. Die übrigen ahmten dieses Begrüßungszeichen nach, und die Kinder verdoppelten ihr Jubelgeschrei. Es waren die Gräfin, Marie, der Rittmeister und Erlhofen, welche in dem ersten Wagen, dem der zweite übrigens unmittelbar folgte, saßen. Die jungen Männer flogen an den Schlag, um den Damen beim Aussteigen behilflich zu sein. »Da wären wir,« rief Erlhofen freudig, »und siehe da, eine ganze Volksversammlung, um uns zu empfangen. Das ist würdig, das ist recht, das freut mich, ihr meine Mitgenossen und Mitanordner dieses olympischen Festes. Bei großen Angelegenheiten muß aber auch Geld unter das Volk verteilt werden.« Zugleich zog er eine lange grüne Börse hervor, nahm eine Handvoll kleiner Silbermünzen und großer Kupferkreuzer heraus und warf sie, im Wagen stehend wie ein Triumphator, unter die kleine Menge, indem er laut rief: »Panem et Circenses!« Hierauf sprang er aus dem Wagen und eilte den schon vorangegangenen Damen in die Haustür und die Treppe hinauf nach.
Wagen auf Wagen kamen jetzt an, fuhren rasselnd vor, und die zierlichsten Gestalten im sommerlichen Putz hüpften den Tritt hinab und in das Tor des Gasthofs hinein. Die reichlich gestreuten Blumen entlockten fast jedem schönen Munde ein dankendes Wort. Endlich sah man das letzte zierliche Füßchen über den Wagentritt hüpfen und im muntern Schritt die Treppe hinaufeilen. Oben im Saale und den anstoßenden Gemächern war Erlhofen, unterstützt vom Rittmeister, Heilborn und den übrigen Dirigenten des Festes, aufs tätigste bemüht, Sessel für die Damen zu stellen, ihnen behilflich zu sein, ihre Schals, Hüte, Mäntel, Sonnenschirme, Strickbeutel und alle jene tausend Kleinigkeiten, welche die artigen Ornamente der Frauenzimmer bilden, unterzubringen. Als einigermaßen die anfangs herrschende Verwirrung gelöst und die Ordnung zurückgekehrt war, entstand die Frage, was man nun beginnen solle. Erlhofen zeigte nicht übel Lust, wiederum die Rednerbühne zu besteigen und einen ciceronianischen Vortrag, wenn auch nicht de officiis oder de amicitia, so doch wenigstens de deliciis zu halten. Allein der Rittmeister fiel ihm ins Wort und sprach: »Ein Staat muß regiert werden und in entscheidenden Momenten braucht selbst die Republik einen Diktator. Wollen wir über alles ratschlagen und abstimmen, so möchte darüber so viel Zeit vergehen, daß, wenn wir von tausend Entschlüssen den besten gefaßt hätten, es uns an nichts mehr fehlen würde als an der Zeit, ihn auszuführen. Ich schlage daher vor, daß wir einen König und eine Königin erwählen, denen wir heute gehorchen wollen; diese mögen dann, wenn es nötig ist, ihre Minister ernennen, kurz die ganze Verwaltung des Staates auf sich nehmen.«
Der Vorschlag ward mit lautem einstimmigen Beifall angenommen, und man schritt sogleich zur Wahl des Monarchen, dessen Ernennung vorzugsweise den Damen übertragen wurde. Erlhofen ward einstimmig gewählt, und man überließ es ihm, eine Königin an seine Seite auf den Thron zu erheben. Der Gekrönte trat mit stolzer Miene in den Kreis, er warf gnädige, aber doch zugleich forschende Blicke ringsumher auf die schönere Hälfte seiner Untertanen. Dann näherte er sich mit feierlichen Schritten der Gräfin Micielska, ließ sich auf ein Knie vor ihr nieder und sprach: »Die mir das Schicksal zugeführt, sei meine Beherrscherin; sie teile den schönsten Thron Europas, denn er ist der sorgenfreieste, mit mir.« Die Gräfin reichte ihm lächelnd die Hand, stand auf, hob ihn empor und sprach mit Anmut: »Ich werde herrschen, aber wie es der Frau geziemt, durch Überredung, und gehorsam den Bestimmungen meines königlichen Gebieters.« Ein lauter Beifall begrüßte das neue Königspaar. Dieses schritt sofort zu seinen nächsten Pflichten, indem es ein Ministerium ernannte: »Die Justiz,« sprach Erlhofen, »behalten wir uns selber vor: Einen Kriegsminister werden wir hoffentlich nicht nötig haben, das Finanzwesen kommt erst auf den Abend zur Sprache; beim Licht besehen bedürfen wir nur eines Hausministers und eines der öffentlichen Vergnügungen. Da dessen Funktionen aber
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