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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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schmeichelnd nach sich zog in die geheimnisvolle Grotte, um in trauter Einsamkeit mit ihm zu kosen? Ach, ich fürchte, die schöne Zeit der Wunder ist vorbei, und kaum daß uns noch der Dichter Kunde gibt von jenen goldenen Tagen, wo Götter sich zu den Sterblichen gesellten! Wäre aber jemand hier, der es selbst erfahren hätte, daß die alten holden Träume nicht verklungen sind, daß die gütigen Wesen, von denen unsere Urväter wußten, noch umherwandeln, wenngleich tief in die Einsamkeit gescheucht durch das unheilige Geräusch und Getöse der Welt: er trete auf und erzähle uns, was er erlebte.« Es blieb alles still, doch lächelte man vergnügt über die anmutige Weise, mit der die Gräfin zum Erzählen einer Sage oder eines Märchens aufgefordert hatte. Endlich erhob sich ein junger Mann, der kaum zwanzig Jahre zählen mochte, aber durch sein sanftes, bescheidenes, fast jungfräulich zu nennendes Wesen, sowie durch seinen schönen blonden Lockenkopf und die zarte Röte und Rundung seiner Wangen bereits allen aufgefallen war, und sprach: »Ich bin vielleicht der Jüngste in dieser Gesellschaft und darf nicht Anspruch machen, durch meinen Vortrag etwas zu gelten; doch ich bin in diesen Bergen auferzogen und kenne so manche schöne Sage, mit der man sich hier im Volke trägt. Wenn ich –«
    »O erzählen Sie geschwind, erzählen Sie«, riefen viele Stimmen und unterbrachen so den Eingang, den er blöde und errötend gesprochen hatte. Die Gräfin aber stand auf und sprach: »Das ist schön, daß Sie Ihrer Monarchin so gehorsam sind; allein der Erzähler muß einen Platz haben, wo alle ihn sehen und hören können. Setzen Sie sich daher auf meinen Thron, solange die Erzählung dauert.«
    Die Gräfin hatte ihre Worte noch nicht vollenden können, als auch schon Erlhofen aufsprang und rief: »Das verhüte der Himmel, daß ich meine Königin ihres Thrones beraubt sehen sollte. Aber der Dichter und der Sänger ist der wahre König, denn er beherrscht die Herzen, und zumal der Frauen. Er nehme daher meinen Thron ein und sitze zur Seite der Königin, deren holde Nähe ihn begeistern möge.«
    Alles rief diesem Entschlusse Beifall, und der Jüngling, Benno war sein Name, nahm mit einer Befangenheit und Scham, die seinem jugendlichen Antlitz ungemein reizend stand, an der Seite der Gräfin Platz. Nach einigem Besinnen erzählte er ein von ihm selbst auf eine der Gebirgssagen gedichtetes Märchen. Es enthielt die Geschichte eines von den Bewohnern der Berge und Ströme begünstigten Jünglings, der die Liebe einer Jungfrau, welche in den Tiefen des Gebirgssees wohnt, gewinnt und ihr ewige Treue schwört. Doch er muß strenge Prüfungen bestehen; heimliche Kräfte und Mächte umgeben ihn überall. Zwar verwahrt ihn die Geliebte mit geheimnisvollen, wunderkräftigen Geschenken gegen die zauberischen Wirkungen; doch er wird verblendet, wird untreu, und plötzlich sieht er sich von allen Bildern seiner Täuschung verlassen und in tiefstes Elend gestürzt. Voll Verzweiflung endet er sein Leben, indem er sich in den See stürzt, auf dessen Grunde der kristallene Palast seiner Geliebten verborgen ist. Seit jener Zeit haben sich die blauen Wogen desselben getrübt und verfinstert, und selbst der lichteste Himmel erblickt sich in der Tiefe des Gewässers nur in einem schwarzen Spiegel.

Viertes Kapitel.
    Als Benno diese Erzählung beendet, waren alle Gemüter in einer gewissen ängstlichen Spannung, und tiefes Schweigen herrschte umher. Er hatte so lebendig dargestellt und seine Hörer so vollständig von der Nähe des Schauplatzes, auf dem sich diese Begebenheiten zugetragen haben sollten, überzeugt, daß man die Landschaft umher mit der Empfindung betrachtete wie irgendeine geschichtlich denkwürdige Stätte, wo man gewissermaßen noch die Fußtapfen der dort vorübergegangenen großen Ereignisse auf heiligem Boden zu entdecken glaubt und sie mit Ehrfurcht und Rührung betrachtet.
    »Befindet sich wirklich hier in der Nähe ein solcher See?« Mit dieser Frage unterbrach die Gräfin zuerst die allgemeine Stille. – »Er ist wenig bekannt,« versetzte Benno, »und, aufrichtig gestanden, auch eben nicht besuchenswert, falls es nicht der Sage halber wäre. Allein wie es bisweilen geht, so haben unsere Voreltern, trotz ihrer romantischen Anlage zu Poesie, in Beziehung auf die Landschaften, an die sie ihre Sagen knüpfen, nicht so viel Sinn für Naturschönheit entwickelt, als man so dichterischen Gemütern zutrauen

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