1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
abwendend, trat sie zurück, und als ihr Auge auf die Gräfin traft warf sie sich mit einer Art von Zucken an die Brust derselben und rief einige Worte in polnischer Sprache. Ihre mütterliche Freundin antwortete ebenso, aber mit sanftem, tröstendem Ausdruck. Dann wendete sie sich zu den Umstehenden und sprach, um gewissermaßen den Gebrauch der fremden Sprache zu entschuldigen: »Sie hat etwas Ähnliches geträumt, darum ergriff der Vorfall sie so heftig:« – »Ja es war ein Traum, ein recht böser Traum,« setzte Lodoiska mit einem mühsamen Lächeln hinzu; »aber ich will nicht weiter daran denken«, sprach sie gefaßter und trat wieder zu den übrigen.
Fünftes Kapitel.
Um den leichten Schreck zu verwischen, schlug Benno vor, die alte Burg genauer zu besichtigen, was, zumal da er sich zum Führer erbot, dankbar angenommen wurde. Nachher unterhielt man sich mit allerlei geselligen Spielen, schoß mit der Armbrust, warf Reifen und schlug Federball, in welchem letztern Spiele Lodoiska sich ganz besonders geschickt und anmutig zeigte. Die Sonne senkte sich schon gegen die Berge hin, ihre Strahlen gewannen schon die leichtrötliche Färbung, durch welche die Landschaften in der spätern Nachmittagszeit in einer so warmen Beleuchtung erscheinen. Nicht ganz mit Unrecht fürchtete man für die Rückfahrt jene schnelle Abkühlung, welche in Gebirgstälern stattfindet, – sobald die Berge sie erst ganz mit ihren Schatten bedecken. Der Wunsch aufzubrechen wurde daher vielfach ausgesprochen, wiewohl man sich ungern gerade in der schönsten Zeit von dem romantischen Punkte trennte, wo man die Nachmittagsstundcn so angenehm zugebracht hatte. Auch wendete Arnheim ein, daß nichts reizender sein werde, als in der Zeit, wo der Purpur des Abends sich mit dem Silberlichte des Mondes mische, ohne Ruderschlag auf den Wellen des Stromes hinunterzutreiben. Es erhoben sich daher mehrere Stimmen gegen die beschleunigte Abfahrt, und endlich kam man dahin überein, daß man sich teilen wolle. Wer die Abendkühle fürchtete, sollte auf der ersten Gondel sogleich zurückfahren, die übrigen wollten eine Stunde später folgen; alle jedoch waren der Meinung, daß man zusammen das Abendessen einnehmen müsse. Nach dieser gütlichen Ausgleichung der verschiedenen Ansichten wanderte die größere Hälfte der Gesellschaft den Berg hinunter; die andere, zu welcher das Königspaar, Marie, Lodoiska, der Rittmeister, Benno und einige andere gehörten, entschlossen sich auf des letztern Vorschlag, einen Spaziergang höher an die Berge hinaufzumachen, von dem man sich noch manchen überraschenden Blick in das Tal versprach. Ein Fußpfad, welcher kaum für zwei Raum hatte, führte in schlängelnden Windungen bergansteigend durch die Waldung.
Der Weg hatte etwas ungemein Reizendes; versteckt, sich gleichsam heimlich durch den Wald schleichend, zog er sich unvermerkt höher und höher gegen den Gipfel hinan. Zwischen dem Gitter des bewegten Laubes hindurch sah man nach oben den Himmel schimmern, unten den blinkenden Strom glänzen. Weitere Öffnungen des Gebüsches überraschten durch schöne Blicke in das Tal, die mit jeder Wendung des Pfades wechselten. Allmählich wurde es immer einsamer und stiller, der Pfad verschwand fast in dem hoch emporschießenden Grase, die Laubwaldung hörte auf, und die tiefern Schatten eines dunkeln Tannenwaldes nahmen die Wanderer auf. Jetzt hatte man in der Tat die Wildnis des Gebirges erreicht. Einen Pfad gab es nicht mehr, aber man ging weich auf der Moosdecke, welche den Boden überspann, dahin, und die Luft war erfüllt mit dem balsamischen Geruch kräftiger Kräuter. Die volle Gebirgserdbeere wuchs hier im reichen Maße und ließ die dunkelrote Frucht aus der Blätterhülle hervorschimmern; einzelne hohe Büsche von Farnkräutern schossen neben den zerstreuten Felsblöcken auf, unter denen das Quellwasser hervorrieselte. Ein hohes Wehen und Rauschen zog durch die Gipfel der Tannen; die ganze Natur blickte den Menschen hier mit einfach erhabenen Zügen an. Benno, welcher der Gegend aufs genaueste kundig war, schlug mit Sicherheit eine von der bisherigen abweichende Richtung ein, um zu einem hohen malerischen Felsblock zu gelangen, dessen gewaltige Masse hier oben auf einer freien Grasebene gelagert war. Schon sah man ihn in der Entfernung von wenigen hundert Schritten liegen; er glich fast einem ungeheuern Sarkophag, dessen eine obere Ecke jedoch, weit vorspringend, sich kühn über die Grundfläche
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