1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
und Beaucaire, worauf die Gräfin, die auf alle Verhältnisse ein sehr aufmerksames Auge hatte, sich sogleich an das gestrige Zusammentreffen mit den beiden Fremden erinnerte, und die nur zu gegründete Besorgnis aussprach, daß eben diese die gefährlichen Männer seien. Jetzt fiel auch Marien ein, was Arnheim ihr gestern gesagt hatte, und es konnte fast kein Zweifel mehr obwalten. Sie blickte, nachdem sie der Gräfin diese Mitteilung gemacht hatte, dieselbe fragend und ängstlich an. »Man muß nur den Mut nicht verlieren,« sprach die entschlossene Frau, »und sehr vorsichtig sein. Obgleich ich als Polin den Kaiser der Franzosen begeistert verehre und Frankreich als unsern schützenden Bundesgenossen betrachte, so kenne ich doch alle die Bedrückungen und Greuel jener zur Verwaltung feindlicher Länder eingesetzten Beamten, welche, nicht Soldaten, nicht Männer von Mut, auch männlichen Mut nicht ehren und nur über Schwache zu triumphieren wissen. Zu diesen dürften auch Ihre Gegner leicht gehören. Also auf der Hut! – Wie befördern Sie Ihre Briefe?« – »Unter der Aufschrift an den Grafen Rasinski«, entgegnete Marie nicht ohne Erröten. – »Gut,« sprach die Gräfin rasch, ohne Mariens Verwirrung zu bemerken; »allein vielleicht noch nicht hinreichend. Geben Sie mir Ihre Briefe. Ich kenne viele Offiziere des Regiments, welches mein Bruder führt. Ich kann mit den Adressen wechseln und es doch so einrichten, daß die Briefe von meinem Bruder geöffnet werden. – Also durch mich, Liebe, führen Sie künftig den Briefwechsel mit Ihrem Bruder.«
Unter diesem Gespräche war man bis zu dem Hause zurückgekehrt, und Marie führte die Beschützerin und die Freundin, welche sie gefunden, zu der entseelten Hülle derjenigen, in der sie beides verloren. Schweigend standen die drei Frauen an der Bahre. Marie lehnte sich sanft gegen die tiefgerührte Lodoiska und weinte still an ihrem Herzen. »Wie freundlich dieses Antlitz ist!« sprach die Gräfin und legte die Hand auf die Stirn der Toten, um ihr das Haar noch ein wenig zurückzustreichen. »Wie sanft muß die Seele aus diesem Körper geschieden sein! Wie gefaßt, wie fromm, wie ruhig!«
»O, sie war mild wie die Abendsonne,« sprach Marie; »gleich ihr schied sie dahin, und in diesem stillen, freundlichen Antlitz schimmert die Abendröte ihrer Seele aus der schönen Welt, in die sie hinübergegangen, noch in diese zurück. Bald aber wird die lange, undurchdringliche Nacht eingetreten sein, die sie uns für ewig verhüllt.« Sie meinte die Bestattung.
Therese und Anna traten halb hüpfend ein. – Sie hielten einen Brief in der Hand. Er war von Ludwig; derselbe, den Beaucaire vor einer Stunde mit verbrecherischen Händen erbrochen. »Von meinem Bruder an meine Mutter«, sprach Marie und brach aufs neue in Tränen aus. – »O der Arme! Er wußte nicht, daß diejenige, an die er seine Worte richtete, sie nicht mehr vernehmen wird! Für sein Leben bebten wir, weil es von tausend Gefahren umringt ist; und wer weiß, bleibt er der einzige Überlebende von uns allen. O, dann würde ich ihn tief beklagen! – – Aber nein! So hart wird uns Gott nicht prüfen,« fuhr sie nach einigen Augenblicken mit frommem Ausdruck in den Zügen fort; »er wird uns nicht trennen. Seine tröstenden Engel werden mich aufrechthalten und seine schützenden meinen Bruder umschweben.«
Die Gräfin machte jetzt Marien den Vorschlag, das Haus des Todes zu verlassen, mit ihr zu kommen und bei ihr zu wohnen, damit sie nicht ganz einsam in der nunmehr verödeten Wohnung zurückbleibe, sondern eine vertraute Brust habe, an die sie ihr müdes Haupt lehnen könne. Marie willigte dankbar ein; denn vor der ersten einsamen Nacht schauerte sie zusammen. Lodoiska, die den Schmerz ganz mit ihr teilte, doch dann am verschlossensten blieb, wenn ihr Herz am vollsten war, weil sie der leichten Gabe der Mitteilung ermangelte, blieb noch bei Marien zurück, um ihr in einigen notwendigen Anordnungen zu helfen. Die Gräfin begab sich nach Hause, um die Anstalten zu Mariens Aufnahme zu treffen.
Diese ordnete mit Lodoiska ihr kleines Besitztum auf das vollständigste, wählte nur einiges aus ihren Büchern, Papieren und Arbeiten aus, welches sie mit in die neue Wohnung hinübernehmen wollte, und hüllte sich dann in Trauerkleider. Als sie umgekleidet aus dem Seitengemache trat, erstaunte Lodoiska über die sanfte Hoheit ihrer edeln Gestalt; zuvor war sie immer nur lieblich erschienen, nur Anmut hatte ihr die
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