1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Augenblicken, »daß der plötzliche Todesfall meiner Mutter Aufsehen erregt hat, zumal da er mit einem Ereignis in Verbindung stand, das viele erschreckte. Doch ebendieses Aufsehen muß mir schmerzlich drückend sein; denn der Trauernde sucht die ungestörte Einsamkeit am liebsten auf.«
St.-Luces verstand die Beziehung der letzten Worte sehr wohl; allein er wollte sie nicht verstehen und wußte seinen Verdruß darüber vollkommen zu beherrschen. »Gewiß, gewiß,« sprach er; »allein nicht immer ist das, was der Kranke begehrt, ihm das Heilsamste. Nicht ganz dem Schmerz sollten Sie sich überlassen; einige Augenblicke sollten Sie sich doch abmüßigen für die, welche wahrhaft Ihre Freunde sind.« – Er schwieg; auch Marie. – »Es ist fast dunkel geworden! – Mir scheint es Pflicht, Sie zu erinnern, daß Sie kaum noch allein den Weg zur Stadt zurückmachen können«, begann St.-Luces nach einigen Augenblicken wieder.
»Sie haben recht, ich hätte schon gehen sollen«, sprach Marie höflich, grüßte und ging.
Kaum hatte sie die Tür des Kirchhofs erreicht, als sie seine Schritte abermals dicht hinter sich hörte. »Ich habe mit mir gekämpft,« sprach er hastig, indem er herantrat, »ob es meine Pflicht sei, Ihnen unberufen die volle Wahrheit zu sagen, ob es Gründe gibt, die dringend genug sind, meine Einmischung in die Angelegenheiten ganz fremder Personen zu rechtfertigen. Die Entscheidung lautet: ich müsse reden. Wissen Sie denn, ich kam nicht absichtslos hierher; ich suchte Sie auf. Ich weiß, daß jemand, der Ihnen sehr teuer ist, Gefahr droht, daß man nahe daran ist, seinen Aufenthaltsort zu entdecken, ihn in diesem Augenblicke vielleicht schon entdeckt hat. Sie könnten durch Unvorsichtigkeit in die traurigsten Schicksale verwickelt werden – ein Gefühl,« hier heftete er das Auge wie verwirrt auf den Boden, »welches nur Jüngere zu kennen pflegen, das mich aber von dem ersten Augenblicke an ergriff, wo ich Sie sah, dessen ich nicht Meister bin – zwang mich – ich fürchte zu einer Verletzung meiner Pflicht. Mehr darf ich nicht sagen – seien Sie auf Ihrer Hut!« Mit diesen Worten wandte er sich um und wollte rasch hinwegeilen. Marie, die ihm mit zitterndem Erstaunen zugehört hatte, rief ihm nach: »Um Gottes willen, erklären Sie sich deutlicher. Ich bitte Sie dringend.«
St.-Luces stand still; er schien mit sich selbst zu kämpfen. Endlich kehrte er zurück. »Deutlicher? Ist es nicht genug, daß Sie mich verstehen? Ich begehe eine Verletzung an meiner Pflicht – und doch, wenn ich Ihre Tränen sehe, wie könnte ich widerstehen!« Er trat Marien einen Schritt näher und ergriff ihre Hand, die sie ihm unschlüssig weder zu reichen noch sie zurückzuziehen wagte. In diesem Augenblicke rauschte es im Gebüsch dicht neben ihnen und Benno trat hervor. Mariens bleiches Angesicht wurde von einer dunkeln Schamröte Übergossen, da sie an diesem einsamen Orte allein mit dem Fremden in so vertraulicher Stellung betroffen wurde. Sie ahnte nicht, daß Benno ihr guter Engel sei, denn in der Überraschung wäre es St.-Luces vielleicht gelungen, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie auf diese Weise völlig zu verderben.
Benno war selbst noch zu jung und unschuldig, um aus einem so leichten Anschein einen kränkenden Verdacht zu schöpfen. Seine dichterischen Träumereien hatten ihn auf den Friedhof geführt, wo mancher früh entschlummerte Freund von ihm lag. Als er jetzt Marien erblickte, von deren traurigem Schicksal auch er gehört, ging er unbefangen, tief bewegt auf sie zu und redete sie an: »O daß ich Sie hier wiedersehen sollte, nach jenem schönen, unvergeßlichen Tage; wer hätte das geahnt!« Auch er ergriff, von dem Gefühl seiner Wahrhaftigkeit und Unschuld geleitet, Mariens Hand und küßte sie mit jugendlicher Ehrerbietung. Es war, als sänke Marien ein Schleier von den Augen und eine schwere Last vom Herzen. Denn als Bennos natürliches Mitgefühl neben St.-Luces geheucheltem stand, da erblickte sie die heiligen einfachen Züge der Wahrheit siegreich neben der gekünstelten Larve der Verstellung. Der Unterschied zwischen beiden war nicht mehr zu verkennen. Marie schauderte zusammen, ohne sich deutlich bewußt zu sein weshalb. Ein sanfter Druck ihrer Hand war die einzige Antwort, die sie geben konnte; er dankte dem jungen Freunde zugleich für seine Teilnahme und seine Arglosigkeit; denn ein Blick auf seine Züge belehrte sie, daß nicht die leiseste Spur des Argwohns in seine reine
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