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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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holden Reize verliehen; jetzt aber schien sie eine trauernde Fürstin zu sein, so wurde ihr Anstand durch die ernste Kleidung und Haltung, wie durch den tiefschmerzlichen Ausdruck ihrer Züge geadelt.
    Mit herzlichen Küssen und Tränen nahm Marie von den Kleinen, mit warmer Dankbarkeit von deren Mutter Abschied, und ging, das Antlitz durch einen schwarzen Schleier vor den lästig neugierigen Blicken der Menge verhüllend, an der Seite ihrer jungen ernsten Freundin ihrer neuen Wohnung zu. Im Gehen war es ihr, als müßten ihre Sinne sie verlassen, da sie jetzt der vertrauten Stelle den Rücken wandte, wo sie noch vor wenigen Stunden die Stimme der Mutter gehört, ihr freundliches Winken der Augen gesehen hatte. Und nun alles so stumm und starr, so ewig verschlossen! In der Haustür stand Frau Holder mit ihren beiden Mädchen. Die gute Frau reichte Marien nochmals die Hand dar, während sie sich mit der Schürze die Tränen aus den Augen wischte. Anna verbarg sich blöde und traurig hinter die Mutter, doch die kleine Therese hob schmeichelnd die Ärmchen an Marien hinauf und rief: »Marie, komm bald wieder zu Haus!« – »Bald, bald, recht oft, mein liebes Kind!« sprach Marie mit von Tränen überwältigtet Stimme und hob das kleine, holde Wesen zu sich empor. Dann erst riß sie sich los und ging rascher, um ihre ermattende Kraft gewaltsam aufzurichten.

Neuntes Kapitel.
    Am ganz frühen Morgen des dritten Tages war die Hingeschiedene bestattet worden. Nur Marie, die Gräfin, Lodoiska und Frau Holder waren zugegen gewesen, als man sie einsenkte zu der ewigen Ruhestätte. Marie zeigte sich ernst, gefaßt; sie rechtfertigte die Furcht der Gräfin, welche sie dringend gebeten hatte, von der traurigen Feierlichkeit zurückzubleiben, nicht. In ihrer ebenso festen als zarten Seele schloß sie schnell mit allem Geschehenen, mit allem Unvermeidlichen ab; nur der Zweifel, die Sorge, die Furcht vor dem Kommenden griffen sie so heftig an. Sie bebte vor der drohend gehobenen Hand des Schicksals; war der zerschmetternde Schlag gefallen, so kämpfte sie mit sittlicher Stärke, mit festem, treuem christlichen Glauben gegen die vernichtende Gewalt.
    So ernst sie den Tag über blieb, nahm sie doch mit stiller Freundlichkeit an dem Gespräche teil. Erst als die Sonne schon rötlich hinter dem blauen Gebirge stand und die Wehmut der Abendstille sich über die Landschaft ergoß, da erst wurde auch sie weich und zerfloß fast in Tränen. Es trieb sie an, nach dem Grabe der Mutter hinauszugehen; die tröstenden Freundinnen wollten sie begleiten, doch sie bat, man möge sie allein gewähren lassen. »Glaubt nicht, daß dieser Gang mich tiefer beugen wird; nein, er wird mein Herz trösten, meine geängstete Brust durch sanfte Tränen erleichtern. Meine Wunden müssen frei ausbluten; vielleicht sind sie tödlich; sie werden es aber gewiß und schneller, wenn ihr den Schmerz derselben gewaltsam in mein Inneres zurückpressen wollt. O, mir wird wohl sein auf dem Hügel meiner Mutter!« Sie ging.
    Das Grab war mit frischem Rasen bedeckt; noch hatte es keine andere Zierde. Der Kirchhof lag einsam, friedlich, von hohen Bäumen beschattet. Marie setzte sich auf die Gruft nieder und saß in nachdenklicher Stellung, während ihre Tränen still herabflossen. Plötzlich schreckte das Herannahen eines männlichen Trittes sie auf. Sie blickte zurück und gewahrte St.-Luces, der gerade auf sie zuging. Unangenehm, ja fast widerwärtig durch seine Nähe gestört, stand sie auf, erwiderte seinen ehrerbietigen Gruß mit einer leichten ängstlichen Verbeugung und wollte den Kirchhof verlassen. Er aber ereilte sie mit raschen Schritten und redete sie an: »Vergeben Sie mir, wenn ich Ihre Trauer gestört habe; – der Zufall führte mich hierher, ich hatte Sie nicht früher erkannt, sonst würde ich mich ehrerbietig zurückgezogen haben.«
    St.-Luces log mit der Zunge und den Augen gleich fertig; denn ebenso unwahr als seine Worte waren die scheinbar verwirrten Blicke, die mit größter Geschicklichkeit geheuchelte Trauer auf seiner Stirn. Schon seit drei Tagen erspähte er nämlich auf jede ersinnliche Weise eine Gelegenheit, Marien zu sprechen. Die Nachricht von dem plötzlichen Tode der Mutter war ihm im höchsten Grade willkommen, denn sie begünstigte seine doppelt verbrecherischen Pläne. Mariens holdselige Anmut hatte, gleich als er sie zum ersten Male sah, seine verderbte, niedrige Leidenschaft entzündet. Mit der allen Elenden so geläufigen

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