1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
einen schmerzlichen Seufzer ausstieß, als wolle er Trost und Stütze suchen, verlangend gegen Bernhard hinüber. Dieser ergriff sie mit Wärme, während zugleich Rasinski dem Erschütterten wehmütig die Hand auf die Schulter legte und ihn gerührt anblickte. »Meine Mutter – meine Mutter –, lies selbst – «, mehr vermochte Ludwig nicht hervorzubringen und reichte Bernhard den Brief hinüber. – »Ich wußte das bereits,« sprach Rasinski, indem er den Freund mit Wärme an seine Brust drückte; »wußte es durch meine Schwester, die mir den Brief im Einschlusse sendete. Aber du solltest es nicht von mir erfahren. Denn wer mag einen bittern Kelch mit sanfterer Hand reichen als eine Schwester?«
Bernhard las indessen mit einer Rührung, deren selbst seine starke Seele nicht Herr werden konnte:
»Mein geliebtester Bruder! Wie soll ich es beginnen, um mit der herben Trauerkunde, die ich Dir nicht ersparen kann, auch den Trost der Liebe in Dein Herz zu flößen? Der Liebe, die Dich in weiter Ferne kaum noch zu erreichen vermag! Ach Ludwig, unsere Mutter ist nicht mehr! Diesen Morgen entschlummerte sie in meinen Armen! Das alte Übel ihrer kranken Brust, das ich lange schon sorgend beobachtet, wuchs durch unselige Zufälle plötzlich so übermächtig heran, daß es die Keime des Lebens mit furchtbarer Schnelligkeit zerstörte. Doch waren die letzten Stunden sanft, und die Seele der treuesten Mutter weilte nur bei ihren Kindern. O, mein Bruder! In diesem tiefen Schmerze fühle ich noch den tiefern, Dich so fern und einsam zu wissen, hinausgetrieben in eine öde Weite, wo die Stimme Deiner Klage unter rauhem Kriegsgetöse verhallt. Sanft ist meine Trauer um die Dahingeschiedene; aber bang und schwer bedrängt fühlt sich mein Herz, wenn ich Deiner gedenke. O könnte ich zu Dir, könnte meine schwesterliche Hand Deine Wange liebkosen, wenn sie sich mit Tränen netzt! Du bist hinweggerissen von allen Gütern des Lebens, deren holdes Antlitz uns in dunkeln Tagen Trost zulächelt. Ausgetrieben aus der Heimat, geschleudert in eine öde Fremde, ist Deine Tätigkeit mehr eine Geißel als ein Stab für Dich. Du kannst Dich nicht freudig aufrichten in Deinem Berufe! O ich fühle, Ludwig, wie viel zermalmender der Schlag Dich treffen muß als mich. Mir entführte ein sanfter Genius die Dahingeschiedene aus meinen Armen; Dir reißt sie ein fürchterlicher Dämon von der blutenden Brust. Laß ja keine Sorge, keinen Kummer um meinetwillen Deinen Schmerz mehren. Daß ich um die Mutter weine, kannst Du Dir freilich nicht verhehlen; aber ich trauere nicht einsam; mütterliche Freundschaft und schwesterliche Liebe weilen mir zur Seite. Fürchte ja nicht, daß ich verlassen und allein stehe; denn eben weil die verlassene Jungfrau ganz hilflos ist, darum bietet ihr jeder die Hand, jeden rührt ihr Geschick und sie sieht sich – so erging es mir – mit freiwillig dargebotenen Gaben der schönsten Liebe überschüttet. Aber von dem Manne fordert man streng, er soll durch eigene Kraft bestehen; weil er selbst Rat und Hilfe kennt, geht jeder fremd an ihm vorüber, und so ist er oft verlassener als wir selbst. Denn wer vermag sich allein zu erhalten in dieser Welt voller Stürme? – Ach, warum kann ich nicht nur die eine erste, bittere Stunde an Deiner Brust ruhen und Deine Tränen liebkosend trocknen? Gewiß, Du solltest minder leiden! Die warme Hand der Liebe würde die kalte des Schmerzes von Deiner Brust entfernen. Nur von Männern weiß ich Dich umgeben. Wird ihre rauhe Seele Deinen Schmerz so tief mitfühlen? Können sie Dich so sanft lieben wie mein Schwesterherz? Kannst Du Dich je zu ihnen so wenden wie zu mir? Doch, sie werden Dir ja teilnehmend und tröstend sein und Dich nicht verlassen in Deinem Schmerz, wie sie in andern rauhen Schicksalen Dir treulich zur Seite standen. Das hoffe ich zu Gott, der so gnädig ist, selbst in seiner Strenge – ach, und mein ganzes Herz soll es ihnen ewig danken.
»Lebe wohl, mein Bruder! Du, das einzige, was mir auf dieser Erde noch bleibt! O mögen tausend gute Engel Dich auf Deinem gefahrvollen Pfade umschweben! Wie ich es überstehen sollte, wenn auch Du – nein, nein, dahin läßt es der gütige Vater im Himmel nicht kommen, denn er weiß, wie viel wir zu tragen vermögen. Lebe wohl! Sein Segen, sein Trost ist mit Dir.
Deine Marie.«
»Du hast einen mächtigen Schild vor dir, der dich decken wird morgen in der Schlacht,« sprach Bernhard, nachdem er gelesen, mit so fester
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