1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Da sah er im Halbdunkel einen Menschen, behutsam umherschleichen. Er hielt ihn für einen Russen, und rief ihn in dieser Sprache an; doch derselbe antwortete nicht, sondern suchte zu entspringen. In der Hoffnung, daß der Mensch Auskunft geben könne, ob die Festung noch besetzt sei, sprengte Rasinski ihm nach, und mit Hilfe einiger Ulanen hatte er ihn bald so erreicht und umringt, daß er nicht weiter flüchten konnte. »Vive l`empereur« rief der entschlossene Soldat und legte sein Gewehr auf Rasinski an. Jetzt erst erkannte dieser die französische Uniform und verständigte sich mit dem, den er für einen Feind gehalten hatte. Es war ein Unteroffizier vom Davoustschen Korps, der den verwegenen Versuch gewagt hatte, allein über die Mauer in die Festung einzudringen. So wurde denn der Ruhm, den feindlichen Platz zuerst betreten zu haben, zum drittenmal zweifelhaft. Indessen die Hauptsache war erlangt, man befand sich darin; sehr bald überzeugte man sich auch, daß die, Russen die Festung verlassen und sich nach Abbrechung der Brücken auf das andere Ufer gezogen hatten, wo sie wahrscheinlich den daselbst gelegenen Teil der Stadt noch besetzt hielten.
Der Tag begann zu leuchten; seine Strahlen fielenlauf ein düsteres Schauspiel. Ringsum rauchende Trümmer, Haufen von Leichen, die halb blutend, halb verbrannt, meist entkleidet auf dem Boden lagen. Andere sah man ausgedörrt, schwarz vom Rauche und Brande, auf dem dampfenden Schutt; Teile des Körpers waren ganz vom Fleisch entblößt, weil die Flammen es weggezehrt hatten. Nur das nackte, verbrannte Gebein ragte noch hervor. Rasinski hatte das Regiment zurückgeführt, um die engen, durch eingestürztes Gebälk und Stein- und Aschenhaufen gesperrten Straßen nicht unnütz zu stopfen. Doch er selbst ritt, von Jaromir begleitet, wieder in die Festung zurück, um den Schauplatz der Verwüstung näher zu betrachten. »Ein trauriger Sieg,« sprach er zu Jaromir; »es scheint nicht der Mühe zu lohnen, so ungeheuere Kräfte an die Eroberung der russischen Steppen zu setzen, in denen man statt der Dörfer und Städte bald nichts mehr finden wird als die Aschenhügel, unter denen sie begraben sind.«
Selbst der fröhliche, lebensfrische, an die Gemälde des Kriegs gewöhnte Jüngling Jaromir war von einem stillen Grausen befallen, als er unter diesem dampfenden Chaos von Schutt und Leichen umherritt. »Freilich wohl,« entgegnete er auf Rasinskis Bemerkung; »und noch unbegreiflicher ist es mir, wie dieses verheerte Land die ungeheuern Massen der Völker nähren soll, die es überströmen. Ehe hier nicht aufs neue gesät und geerntet ist, sollte man glauben, daß kein lebendes Wesen sein Dasein nur einige Tage fristen könnte.«
»Der Wolf wird nach Polen und Preußen auswandern müssen,« warf Rasinski, innerlich grauend über den halb scherzhaften Klang seiner Rede, hin, »weil er hier Hungers sterben müßte. – Horch! Musik!« Es waren die französischen Garden, welche soeben mit klingendem Spiele in die Stadt einrückten. Der fröhliche Schall in dieser Stunde, in dieser Umgebung, glich dem furchtbarsten Hohne. Rasinski zog sein Pferd in eine Seitengasse zurück und ließ die Truppen an sich vorüberziehen. Die Spielleute bliesen die Marseiller Hymne, deren feurige Klänge sonst in jedem französischen Herzen die glühendste Begeisterung, in jedem Auge die Flammen des Muts entzündeten. Doch diesmal redete sie eine unverständliche Sprache zu den kampfgewohnten Scharen. Tiefer Ernst blickte aus ihren Zügen; starr hefteten sie das Auge auf die Verwüstung um sie her und zogen die schwarzen Brauen düster zusammen. Man entdeckte zwar keine Spur des Verzagens auf dem rauhen, sonnverbrannten, mit breiten Narben gezeichneten Antlitz dieser Krieger, doch auch kein Schimmer der Freude leuchtete in ihren Blicken. Mit stolz gehobener, aber finster gefallener Stirn schritten sie über Leichen, Gebeine und glühende Asche dahin; sie glichen einem heraufziehenden Gewitter in ihrer stummen eisernen Haltung.
Jetzt kam der Kaiser auf seinem arabischen Schimmel heran. Er warf die scharfen Blicke überall aufmerksam umher, ließ sich jedoch dadurch in seinem lebhaften Gespräch mit dem Grafen Lobau, der ihm zur Seite ritt, nicht stören. »Der Kaiser sieht aus wie bei der Parade in Dresden«, bemerkte Jaromir leise, doch mit dem Ausdruck des Erstaunens. – »Es ist in seiner Art,« erwiderte Rasinski, »sich im Sturme und Sonnenscheine stets gleichzubleiben. Doch wir wollen
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