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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Der Anblick muß deine männliche Erziehung vollenden. Aber wenn der Preis verfehlt wird! Wenn in unserer Brust der schreckenvolle Gedanke keimt, es ist vergebens! Alles, alles umsonst! Alle die blutigen Tränen, die krampfhaften Seufzer des Elends, die grausenden Schauer einer Todesqual, die das Mitleid selbst dem verruchtesten Verbrecher spart – alles umsonst! Freund, dann gibt es Augenblicke, wo sonst die eiserne Kraft des Mannes morsch zusammenbricht unter der Riesenlast, die das Schicksal auf seine Schultern wälzt.«
    Ermattet schlang er die Arme um Ludwigs Nacken und senkte das Haupt gegen seine Brust; er vergoß keine Träne, aber sein Herz schlug stürmisch, und seine Wange brannte wie in Fieberglut. Ludwig hatte nicht Worte des Trostes, er hatte nur den Druck der Liebe für den Mann, an dessen männlicher Kraft er sich so oft aufgerichtet hatte, und den er jetzt so überwältigt sah. Aber es waren nur Minuten. Bald richtete sich Rasinski gefaßt wieder empor und sprach wehmütig freundlich: »Meine Brust wird ganz ruhig, Ludwig, wie die, in der kein Herz mehr schlägt; doch nun ist es vorüber, ich habe der erstickenden Beklemmung Luft gemacht, der Traum ist verweht, ich bin wieder Herr meiner selbst. Du wirst mich nicht schwach sehen, wo es gilt, mich männlich zu fassen, wo der Augenblick die Tat fordert. Ich wollte meine Qualen allein der Nacht vertrauen: jetzt hat sie die Brust des Freundes geteilt, und du hilfst sie mir tragen, nicht wahr, Ludwig? Ich habe ja deinen Schmerz auch geteilt, und so tragen wir beide leichter.« Arm in Arm gingen sie hinab und ruhten, bis der grauende Morgen sie weckte.

Sechstes Kapitel.
    Eine Ordonnanz hatte die Nachricht gebracht, daß der Kaiser Heerschau über die Truppen halten wolle. Mit dem Frühesten saß daher das Regiment auf und rückte in die Linie vor. Erst jetzt erfuhr man von den hin und wieder reitenden Adjutanten, daß das russische Heer in der Nacht seinen Rückzug begonnen habe. Der König von Neapel mit einem Teil der Kavallerie war ausgerückt, um zu erforschen, ob es sich nach Moskau oder Kaluga ziehe.
    Eine nachdrückliche Verfolgung mit dem ganzen Heere glaubte der Kaiser den ganz ermatteten, fast gänzlich aufgelösten Truppen nicht zumuten zu können. In einer langen Linie aufgestellt, krönten die Regimenter den Saum der Hügel, die das vor ihnen ausgebreitete Schlachtfeld begrenzten. Es lag, eine traurige Wüste, vor ihnen da, doch war man zu fern, um das tausendfache einzelne Elend darauf zu erkennen. Das Heer selbst gewährte nur einen düstern Anblick. Die Truppen hatten sich um ihre Adler gesammelt; doch sahen sie nicht siegesstolz, nicht freudig aus. Ihre Uniformen waren schwarz von Pulverdampf und Staub, zerrissen von Kugeln und Säbelhieben. Hunger, Frost, übermäßige Anstrengung hatten die Kräfte der Tapfersten erschöpft. Die sonst so feurigen Augen blickten matt unter den buschigen Brauen hervor. Eine erhabene Trauer lag auf den tiefgefurchten Stirnen; sie schien zu wachsen mit jedem Blick auf das blutige Feld, wo soviel tausend Waffenbrüder schlummerten, oder unter grauenvollen Martern den Tod als Erlöser erwarteten. Und dieses Feld voller Leichen und Blut war die einzige Siegestrophäe, die man errungen hatte! Viele Regimenter waren auf ein Dritteil geschmolzen; ein kleines Häuflein standen sie um ihre Adler, kaum mehr zahlreich genug, sie zu beschützen. So harrten sie des Kaisers.
    Ernst ritt er an den Reihen hinunter. Er grüßte die Soldaten, lobte ihre Tapferkeit in kurzen, gemessenen Worten, verhieß Belohnungen, Beförderungen, Ehrenzeichen. Wohl erhoben die Offiziere den Ruf: »Es lebe der Kaiser!« und die Krieger stimmten ein. Doch es war nur eine alte Gewohnheit, eine Pflicht des Herzens, kein freier Drang desselben, der mutig und freudig ausbrach. Und wo sonst der Donner von tausend Stimmen erschallte, da hörte man jetzt nur Hunderte, denn vielen war die Lippe auf ewig geschlossen.
    Nach der Besichtigung der Truppen wandte der Kaiser sein Roß, um über das Schlachtfeld zu reiten. Viele Generale und höhere Offiziere folgten ihm. Rasinski, und auf dessen Aufforderung auch Ludwig und Bernhard schlossen sich in angemessener Ferne dem Zuge an. »Sieh nur, wie grau der Himmel sich verhängt,« sprach Bernhard zu Ludwig, als sie langsam nebeneinander hinritten; »es ist, als scheue er sich, diesem grausenhaften Anblick ein heiteres Antlitz zu zeigen. Was muß das für eine Seele voll kühner, über das einzelne niedere

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