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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Boden, wo das siegende Heer gelagert war.
    »Also das ist die Frucht eines so entsetzenvollen Kampfes? Der Feind unerschüttert in seiner Stellung? Morgen geht vielleicht die Sonne zum zweiten Male so blutig auf? Noch ein solcher Sieg, und wir sind verloren!« Er ging heftig auf und ab. Ein verworrenes Geräusch von Stimmen drang aus der Ferne in sein Ohr. Es war der wohlbekannte russische Schlachtruf, der aus dem Lager herüberdrang. »Sollten sie mitten in der Nacht einen Angriff wagen?« Indem rauschte es dicht hinter ihm im Gebüsch. »Wer da?« – »Ich bin's«, antwortete Ludwigs Stimme. »Mich lassen die schweren Träume keine Ruhe finden, drum folgte ich dir, als ich dich hier hinaufgehen sah.«
    Rasinski legte seine Hand auf Ludwigs Schulter und seufzte. »O mein Freund! Meine Träume sind vielleicht noch schwerer! Wärest du so ein erfahrener Soldat als ich, du würdest mich begreifen. Dieser Sieg ist unser Verderben! Dieser Krieg kann nicht glücklich enden. Der Kaiser ist verblendet! Er kennt das alte Rußland nicht. Er hofft nach Moskau zu dringen und dort den Frieden vorzuschreiben. Und wenn es ihm gelingt, in die alte Hauptstadt der Zaren, die nur noch zwei Märsche vor uns liegt, einzuziehen, bedenkt er nicht, daß er dann erst an der Schwelle dieses riesigen Reiches steht, daß jenseit erst die blühendsten Provinzen liegen, die Raum und Kräfte genug haben, die Bewohner diesseit der Moskwa aufzunehmen und zu nähren, während uns der Winter hier verschlingt! Und noch sind wir nicht in Moskau! Siehst du dort drüben die glänzenden Lagerfeuer der Russen, hörst du ihr Kriegsgeschrei? Wenn sie entschlossen sind, wenn ihr Führer Einsicht und Mut hat, so werden sie uns noch drei Schlachten liefern, bevor wir Moskaus goldene Kuppeln glänzen sehen. Und dann! Wenn Tausende und aber Tausende dahingerafft sind, wie wollen wir die unermeßlichen Räume behaupten, die wir erobert haben? Jeder menschlichen Kraft ist eine Grenze gesetzt! Gewohnt, das Ungeheuere zu vollbringen, das Unmöglichste wirklich zu machen, hat unser großer Führer seine Kraft überschätzt sein Maß verkannt. Er muß erliegen unter der Riesenwucht seines Unternehmens, das, rückwärts rollend, auf ihn selbst herabstürzt!«
    Ludwig schwieg; er überließ sich seinen düstern Sorgen und Gedanken. Auch Rasinski stand schweigend vor ihm und starrte in die Finsternis hinaus.
    »O Freund,« begann er plötzlich wieder, und so weich, wie Ludwig ihn nie gesehen hatte, »wenn man auf ein solches Gefilde der Verheerung blickt, dann will man auch wissen, weshalb diese Tausende von Opfern bluten mußten! O, du ahnst nicht, welch ein entsetzliches Bild menschlichen Elends hinter diesen Finsternissen lauert. Nicht die Toten beklage ich; sie haben ihr edles Ziel erreicht. In der Schlacht zu fallen ist das Los, ist der Ruhm des Kriegers. Aber wie viele Tausende liegen hier auf der Folterbank namenloser Qualen! Diese rauhe, regnichte Nacht durchschüttelt uns mit Frost, die wir in unsern Mänteln unversehrt, wohlerquickt am Feuer ruhten. Und jene dort? Mit zerschmetterten Gebeinen, mit zerrissenen Leibern liegen sie dem rauhen Nachtstürme preisgegeben; ihre Wunden bluten, Frost und Fieber schütteln ihre Glieder; angstvoll zählen sie die trägen Sekunden der Nacht, bis ihrem Elende Hilfe wird. Sie gedenken der Heimat, der Eltern, deren zärtlicher Sorge sie, kaum den Knabenjahren entwachsen, durch die eiserne Hand des Krieges entrissen wurden; dem Vater schwebt das Bild seiner zarten Kinder, dem Gatten die Gestalt des liebenden Weibes, dem Jüngling seine weinende Braut vor Augen! Doch aus allen den Gedanken der Liebe, die ihnen in die Ferne auf das Schlachtfeld folgen, bildet sich keine schützende, helfende Engelsgestalt, um den Verzweifelnden zu trösten! Unter starre Leichen gebettet, umgeben von denen, die in dem Kampfe des Todes sich und ihren Schöpfer verfluchen, liegen sie in gräßlicher Einsamkeit oder in furchtbarer Gemeinschaft, und jede kommende Minute schüttet einen Strom des Grausens und des Jammers über sie aus. Ludwig! Wer die Schlacht gesehen hat, kennt nur das lächelnde Antlitz des Krieges. Sieh morgen das Schlachtfeld , und du wirst vor der grinsenden Larve des scheußlichen Gespenstes beben!«
    Aufgeregt durch seine Worte und Vorstellungen, hatte Rasinski die Hand des im Innersten grauenden Ludwig heftig gefaßt. »Aber sehen sollst du es, mußt du es! Du mußt wissen, was der Mann für den Ruhm, für das Vaterland wagt.

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