1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
gestürzt bin.« Bernhard hatte recht; denn eben waren die Zurückbleibenden auf den Teil des Schlachtfeldes gekommen, wo das russische Geschütz mächtig gewütet hatte; bisher hatten sie nur die Stellen durchritten, wo die französische Artillerie den Feind Schritt vor Schritt verfolgte und ihm schwere Verluste beibrachte, während man selbst nur einzelne Opfer zu beklagen hatte. »Wir sind jetzt auf der Höhe hinter Semenowskoi,« sprach Rasinski; »hier müssen schon viele Tote liegen, gewiß auch noch viele Schwerverwundete. Reitet daher vorsichtig, damit wir die Qual der Hilflosen nicht vermehren.«
Der menschliche Befehl war vergeblich. Denn bald wurde die Zahl der Leichname von Menschen und Pferden, die den Boden deckten, so groß, daß man fast auf jedem Schritt daran stieß. »Wir wollen links hinab in die Schlucht hineinreiten«, befahl Rasinski. »Dort hat der Tod nicht so wüten können; wir erreichen unser Ziel zwar auf einem Umwege, aber doch noch schneller als hier, wo wir auf jedem Schritte gehemmt sind.«
Solange sie noch auf der Höhe hinritten, blieb der Boden mit Leichnamen bedeckt. »Es ist mir lieb, daß die Nacht den Anblick des Grauens verhüllt,« sprach Ludwig; »wenngleich die Phantasie mächtiger ist als die Wirklichkeit, so werden ihre Bilder doch nicht so gräßlich sein als die, welche der Tag hier enthüllen wird.«
Stumm ritt die kleine Schar durch das Leichenfeld hin. Oft glaubte man ein Ächzen, ein schweres Stöhnen zu vernehmen, doch der in den Bäumen des nahen Waldes rauschende Wind, das dumpfe Geräusch des Hufschlags, das Rasseln der Säbel, das Schnauben der schweratmenden Pferde übertäubte diese einzelnen Laute des Jammers schnell wieder. Dennoch schnitten sie tief ins Herz. Jeder atmete freier auf, als man die Schlucht erreichte, wo der Tod seine Opfer nicht so bloßgestellt gefunden hatte. Dem Lauf der Regenbäche folgend, die sich hier ihr tiefes Bett gewühlt hatten, kam man an dem Fuße des Hügels vorbei, auf dem die drei Redouten lagen, wo Rasinski mit seinem Regiment zuerst in den Kampf verwickelt worden war. »Halt, Front!« kommandierte er. Das Regiment, wenn man die wenigen Leute, die noch übrig waren, so nennen darf, stand jetzt mit der Front gegen die Anhöhe, wo es seine Tapfersten gelassen hatte. »Dort oben,« sprach Rasinski mit bewegter, aber männlich kräftiger Stimme zu den Kriegern, »dort auf dem Hügel liegen unsere getreuen, tapfern Kameraden. Laßt uns ein stilles Gebet für sie sprechen.« Mit diesen Worten nahm er seine polnische Tschapka mit dem hohen wehenden Busch herab und neigte das entblößte Haupt. Alle Krieger folgten ernst seinem Beispiel. Einige Minuten herrschte eine tiefe, heilige Stille. Dann richtete sich der Führer wieder empor, bedeckte sein Haupt und ritt im kurzen Galopp die Front hinunter; in der Mitte, auf einem kleinen Hügel hielt er. »Rechts und links schwenkt zum Kreise!« gebot er. Es geschah. Als man etwa einen Halbkreis gebildet hatte, denn mehr ließ das Terrain nicht zu, gebot er halt und begann: »Kameraden! Der heutige Tag war blutig, aber ruhmvoll. Mehr als zwei Dritteile unserer Brüder fehlen in euern Reihen. Die Hälfte hat den Sieg mit dem Tode erkauft, die andern liegen an schweren Wunden danieder. Wir bejammern die Tapfern, die gefallen sind, aber ihr Los ist schön: ihr Verlust darf uns nicht entmutigen, sondern wir müssen stolz darauf sein. Verbannt daher die düstere Stimmung aus euerer Brust. Wir haben gesiegt, und nach einem Siege muß das Antlitz des Kriegers freudig glänzen. Der Kampf ist geendet; noch wenige Tage, und euch wird der Lohn für die schweren Mühen und Gefahren, welche ihr rühmlich bestanden habt. Ja, meine Brüder, rühmlich; denn ob uns auch in einzelnen Augenblicken der Schlacht das Geschick entgegen war, ihr habt gefochten wie wahre Söhne Polens; es ist mein Stolz, euer Führer zu sein. Nehmt meinen Dank, Kameraden, für diesen ernsten, aber schönen Tag!«
Wie eine Flamme durch das schwere Gewölk des Rauches, das sie lange herabgedrückt hat, plötzlich leuchtend emporschlägt, so stammte nach der düstern Stimmung der Trauer jetzt die Begeisterung der Krieger hell auf. »Es lebe unser Führer, der tapfere Rasinski!« rief Jaromir zuerst, und die ganze Schar der Krieger stimmte ein. Rasinski dankte bewegt durch Händedruck und kameradschaftlichen Gruß, doch beherrschte er seine Rührung, um die kräftigende Stimmung der Krieger, die ihm so wichtig und notwendig
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