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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Menschenrecht und Menschenglück hoch wie die Alpen hinausragender Entwürfe sein, die ein solches Maß des Jammers verschulden kann, ohne davon zerrissen zu werden! In welcher Höhe muß der Geist über der Erde wohnen, dem so die kleinen Saaten, Früchte, Hütten, Freuden und Wünsche der Menschheit entschwinden, daß er nichts mehr entdeckt als die Massen der Länder und Völker, als die Ozeane und die Feste des Erdreichs. Wie weit muß er mit seinen Gedanken über die Zeit, über die Gegenwart hinausragen, der mitten in der verworrenen tausendfältigen Schrift der Tagesgeschichte so kühn den Ungeheuern Griffel der Weltgeschichte führt!«
    »In seiner Nähe,« entgegnete Ludwig, »will mir's scheinen, als könnte ich mich zu diesem Gefühl erheben. Wie ich mich selbst verliere und mich nur als eine einzelne Kraft betrachten kann, welcher er mit tausend andern zugleich die Richtung gibt; wie ich alle, die ich sonst als die Besten, Größten, Selbständigsten ehrte, dasselbe tun sehe; wie sie gegen sein großes Eins verschwinden, gleich den zahllosen Tropfen eines Gewitterregens, wenn sie den Ozean berühren – so wird mir begreiflich, wie ihm sich alle die einzelnen Kräfte nur in dem einen Schwerpunkt seines weltgeschichtlichen Willens zusammendrängen. Er empfindet nur die Aufgabe, diese nach innern notwendigen Gesetzen seiner Seele zu verwenden; er sieht im Menschen nur das Atom der einzelnen Kraft , das er zur Gestaltung des Ganzen sammeln muß. Ob darüber die Atome der einzelnen Rechte zerstäuben, das erwägt er nicht, das darf er nicht erwägen, und wer sich ihm anschließt, verliert dieses Recht nach notwendigem Urgesetz. Wer nicht, der muß es einem andern Allgemeinwillen opfern; das ist das Los der Erdgeborenen. Wer in sich die Kraft fühlt, die Fäden des Wollens so vieler Tausende in sich zu vereinen, der hat auch das Recht dazu; wer sich eitel darüber täuscht, der wird bald zerschmettert sein von der Keule des Geschicks, die er nicht zu führen wußte. Die aber, welche dem mächtigen Gebot eines Bildners der Weltgeschichte gehorchen, dürfen nicht klagen, daß sie ihre Freiheit einbüßen. Sie folgen hier wie sonst einem Naturgesetz, nur daß das höhere des Geistes weniger erkannt wird als das niedere der körperlichen Stoffe. Darfst du dich empören, daß du sterblich bist? Soll den Gott, der dich diesem Gesetze unterwarf, ein Vorwurf treffen? Nimmermehr. Darum ist ein großer Mann so fern von der Verantwortlichkeit für die Leiden der einzelnen wie diese von dem Rechte des Vorwurfs. Und darum fühlt er Beruf und Gesetz in sich vereint und findet seine Seele nicht belastet durch ihren Jammer, und sie wenden ihren Fluch nicht gegen ihn. Jeder erträgt und vertritt in seinem Gleise, was eine ewige Schickung der Wahrheit und der Gerechtigkeit ihm auferlegt. Nur so gestaltet sich der Gedanke Gottes; wer daran nicht festhält, der darf über das summende Insekt, das ihm den Schlaf raubt, eine Beschwerde gegen die Allmacht führen.«
    »Blick auf! Sieh hier zur Rechten!« sprach Bernhard unterbrechend. Eben kam ein Transport Wagen heran, auf die man Verwundete geladen hatte. Der Ausdruck der bleichen, blutbedeckten Züge war meist der eines stillen, ergebenen Leidens. Einige sahen trotzig, wild aus, als erhöben sie sich über ihr Schicksal. Nur wenige stießen Jammerlaute des Schmerzes aus. Noch andere empfanden nur die Freude der Hilfe, die ihnen wurde, und blickten heiter umher, als wollten sie sagen: »Diesmal sind wir noch aus dem offenen Rachen des Todes entsprungen.«
    Man erreichte jetzt die ersten Punkte, wo der Tod heftig gewütet hatte, indem man durch den Hohlweg ritt, den Rasinski gestern wählte, um das mit Leichen bedeckte Feld zu vermeiden. Doch jetzt war es anders. Viele der Verwundeten hatten sich hierher geschleppt, um Schutz gegen den Sturm zu suchen. Sie lagen, in die Erdlöcher gekauert, und bebten vor Frost und Fieberschauer. Einem alten Grenadier klapperten die Zähne heftig gegeneinander; doch gab er keinen Laut des Schmerzes von sich, sondern starrte aus hohlen erlöschenden Augen die Vorüberreitenden gräßlich an. Ludwig wurde von dem Anblicke so entsetzt, daß er vom Pferde springen und dem Unglücklichen Hilfe leisten wollte; doch kamen zum Glück eben zwei seiner Kameraden heran und legten ihn auf eine Bahre, um ihn fortzutragen.
    Einige Schritte weiter stieß Bernhard Ludwig an: »Sieh! es ist zum Erbarmen!« Ein junger Mensch mit blondem Haar, in dessen weichen, fast

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