1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
schien, nicht zu unterbrechen. Er ließ die Trompeter eine Fanfare blasen, die Glieder ordnen und schließen und ritt so an der Spitze des Zuges weiter dem Biwak zu. In kurzer Zeit hatte man es erreicht, und nun fühlte jeder das Bedürfnis der Rast und Erquickung zu mächtig, um noch an etwas anderes zu denken. Rasinski nahm seine Lagerstelle unter drei hohen Tannen des Waldes, an dessen Rande er das Biwak bezog, ein.
Das Feuer loderte schnell empor; sein Widerschein beleuchtete die weit hinübergestreckten Zweige der alten, riesenhaften Bäume und das niedere Gebüsch, ringsumher. Bernhard, Ludwig, Jaromir, Boleslaw und die Offiziere, welche die Schlacht verschont hatte, waren an dieser Stätte gelagert; Rasinski wünschte sie um sich zu haben.
»Nun, Freunde,« begann er, »laßt uns noch eine kurze Minute des traulichen Gesprächs genießen und dann der Ruhe pflegen, die uns allen notwendig sein wird. Es war ein harter Tag! Wißt ihr, wieviel wir unser noch sind? Nicht mehr als hundertfünfundzwanzig Mann, uns alle mit eingerechnet; dreihundertundsiebzig hat die Schlacht uns gekostet.«
Die Offiziere sahen einander mit ernsten Blicken an. Sie waren nur ihrer fünf. Sieben hatte man schwer verwundet vom Schlachtfelde tragen müssen, elf der Tod hinweggerafft; und von denen, die hier am Feuer saßen, hatte Boleslaw einen Hieb in der Stirn, den er jedoch selbst verband, weil er nicht bedeutend war, und Lichnowski, ein sehr junger Mensch, war durch einen Pistolenschuß am linken Arme gestreift. Ganz unverletzt waren von den Offizieren nur Rasinski, Jaromir und die beiden Rittmeister Bernecki und Jelski; Bernhard war gleichfalls unversehrt geblieben, doch Ludwig hatte einige Quetschungen von seinem Sturz mit dem Pferde.
»Um viele, um alle, die ich vermissen muß, tut es mir weh,« sprach Rasinski; »doch ich darf wohl sagen, ein Verlust geht mir besonders nahe. Es ist unser alter Petrowski, dieser tapfere Greis, der mehr Narben als Haare auf seinem Schädel hatte, in dessen Brust aber das Jugendfeuer des Mutes und der Vaterlandsliebe glühte, wenngleich auf seinem Haupte der Schnee des Alters lag.« – »Also Petrowski tot! Und wo fiel er?«'fragte Bernhard.– »Dort oben an den Redouten, wo wir geworfen wurden, wo die meisten der Unsrigen den Tod fanden. Er wollte nicht weichen, er suchte seine Sektion zum Stehen zu bringen, da schlug eine Kanonenkugel mitten durch ihn und sein Pferd hindurch daß beide übereinander stürzten. Der Säbel entfiel seiner Hand, und das Auge starrte tot gen Himmel; so sah ich ihn auf der Stelle liegen. Es war unmöglich, ihn wegzutragen, denn der Strom riß uns alle fort.«
»Sollte er nicht vielleicht unter den Verwundeten sein?« sagte Ludwig. –- »Nein, lieber Freund, ich habe schon Bericht. Auch sah ich den Tod zu deutlich auf seinem Antlitz. Er liegt dort oben. Wenn uns morgen Zeit gegönnt ist, will ich sehen, daß ich den greisen Helden ruhmvoll bestatten kann, damit wenigstens seine Kameraden daheim erzählen können, wo die Gebeine dieses tapfern Polen ruhen!« Rasinski schüttelte sich wie von einem Frostschauer durchbebt. »Wir werden zu weich, Freunde! Wer weiß, welch ein Ereignis uns in dieser Nacht aufstürmt; laßt uns der Ruhe pflegen.« Er hüllte sich in seinen Mantel und lehnte sich zurück, mehr um seinen Schmerz zu verbergen, als um zu schlummern. Doch hatte die ungeheuere Arbeit, und noch mehr die lange Spannung der Seele, den Körper bis zur Erschlaffung ermüdet, und so sanken bald alle, die ihn umgaben, in festen Schlaf.
Doch mitten in der Nacht trieben Unruhe und Sorge Rasinski auf. Er durchschritt, in seinen Mantel gehüllt, die Reihen der Krieger, die im schweren Schlaf um die Feuer ausgestreckt lagen. Nur die Feuerwachen saßen aufrecht, und schürten, indem sie starr in die Flammen blickten, gedankenlos oder gedankenvoll die Glut. »Was ist die Uhr, Freund?« fragte Rasinski.–»Mitternacht.« – »Habt ihr nichts vernommen? Keinen Kanonenschuß in der Ferne, keinen Trommelschlag?« – »Alles totenstill!« – »Seltsam,« murmelte Rasinski für sich; »man sollte verfolgen, dem Feinde keine Ruhe gönnen. Aber die Sieger sind vielleicht noch ermatteter als die Besiegten!« Er ging eine Anhöhe hinauf, die ihm einen weiten Überblick gestattete. Das Schlachtfeld lag schwarz und schweigend vor ihm. Die Feuer glänzten düster im weiten Halbkreise wie am Abend zuvor im russischen Lager; nur vereinzelt und spärlich brannten dieselben auf dem
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