1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
mädchenhaften Zügen dem Jammer zum Trotz sich noch jugendliche Lieblichkeit malte, lag am Wege und hob die gebrochenen Augen zu den Vorüberreitenden empor. Den halbgeöffneten Lippen schienen leise Worte der Klage zu entfliehen; stehend wandte er seine Blicke zu einigen Kriegern, die in seiner Nähe Verwundete aufnahmen und sie zu einem in einer Ausbiegung der Schlucht haltenden Wagen trugen. Er schien zu wimmern: »O! helft doch endlich auch mir!«
Ludwig konnte es nicht ertragen, er sprang vom Pferde, näherte sich dem Unglücklichen und wollte ihm Hilfe leisten. Ein graubärtiger Grenadier sprach rauh, aber doch gerührt: »Laßt ihn liegen, Kamerad, ihm ist nicht mehr zu helfen, wir verlängern nur seine Qual. Wie soll einer mit einem Bein und einer zerschossenen Brust aus diesem wüsten Lande wieder nach Frankreich hinken? Laßt ihn und helft lieber denen, die noch zu retten sind. Wünscht ihm wohl zu schlafen, und damit gut.« Der Unglückliche hörte die Worte, die den letzten Faden seiner Hoffnung erbarmungslos zerrissen, und sah tief aufseufzend zu Ludwig empor. Diesem verdunkelte sich der Blick; er mußte alle Gewalt männlicher Entschlossenheit zusammennehmen, um fest zu bleiben. Mit erbarmender Seele beugte er sich über ihn und sprach: »Es ist so schlimm noch nicht, Freund, ich werde dich dort hinauftragen; fasse Mut!« Der Verwundete sah ihn dankbar an; zu lächeln vermochte er nicht mit den von Schmerz zusammengezogenen Muskeln, doch glänzte ein gerührter Aufblick der Freude in seinem sterbenden Auge. Ludwig umfaßte ihn und wollte ihn emporheben; doch da der Unglückliche noch das ganze Gepäck auf dem Rücken trug, war die Last zu schwer, und er mußte ihn zurücksinken lassen. Bernhard war gleichfalls vom Pferde gesprungen, um Ludwig Hilfe zu leisten. Allein als beide Freunde den Sterbenden sanft aufnehmen wollten, fiel sein Haupt zurück. »Ah! ma mère!« hauchte er mit verklingender Stimme und war dahin. »Wohl ihm!« sprach Ludwig gerührt, als er jetzt das stille Lächeln des Todes auf das ermüdete Antlitz treten sah; »Wohl ihm, nun ist die Qual geendet.« – »Komm denn vorwärts«, drängte Bernhard, besorgt, daß Rasinski ihres Zurückbleibens wegen zürnen möchte. Sie schwangen sich wieder zu Pferde und ritten eilig nach.
Eben als sie den Zug wieder erreichten, war man auf die Höhe vor den Redouten gekommen, wo gestern der Kampf so fürchterlich getobt hatte. Hier lag das ganze Feld voller Leichen; doch sah man nicht mehr so viele Verwundete, denn schon seit dem dämmernden Morgen waren Hunderte von Soldaten beschäftigt, sie auf die herbeigeführten Wagen zu laden. Desto schauderhafter aber war die Werkstätte des Todes, die man hier betrat. Russen und Franzosen bedeckten in zahlloser Menge das Gefilde; denn hier hatte der Kampf lange unentschieden hin und wieder getobt. Man sah entsetzliche Verstümmelungen; die abgerissenen Glieder lagen einzeln umher, oder waren achtlos in Haufen zusammengeworfen. Die Körper halbzerrissener Pferde hatten sich in den wilden Zuckungen des Todes über die Toten und Verwundeten gewälzt, so daß man in den erstarrten Zügen derer, die unter dem tierischen Leichnam lagen, noch die krampfhafte Angst erkennen konnte, in der sie unter der schauder- haften Bürde den Geist aufgegeben hatten. Zertrümmerte Helme, Harnische, Gewehre, Säbel schimmerten zwischen den blutigen Leichen; Teile zerschmetterter Geschütze lagen umher. Es war schwer, die Pferde zwischen dieses grause Gemisch hindurchzuleiten, ohne durch ihren Huf menschliche Körper, in denen sich immer noch Spuren des Lebens vermuten ließen, zu verletzen. Der Kaiser hielt. Er sah mit scharfem Blick ringsumher; über den Anblick des Entsetzens zu seinen Füßen eilte sein Auge hinweg. Er betrachtete nicht das Feld des Todes, sondern das des Kampfes mit dem prüfenden Blick des Feldherrn. Er schien allein sein zu wollen, denn soviel man sehen konnte, deutete er denjenigen, die in seiner nächsten Umgebung hielten, durch einen Wink an, sich zu entfernen. Sie zerstreuten sich nach verschiedenen Gegenden des Schlachtfeldes. Nur der Marschall Berthier blieb in seiner Nähe und begleitete ihn auf seinem fernern Ritt.
Rasinski nahm mit seinen Begleitern den Weg nach der Gegend zu, wo er gestern mit seinem Regiment zuerst ins Gefecht gekommen war. Bald sah man die polnischen Uniformen von weitem schimmern, die an ihrer leuchtend blauen Farbe weither zu erkennen waren. »Hier sucht ich dich
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