1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Reihe, der König von Neapel sei im freundlichen Gespräch mit den Führern der Kosaken begriffen. Schon überließ man sich der Hoffnung, daß der Kampf hier ein Ende habe, der Friede nahe, der Lohn für alle bestandenen Mühen und Gefahren gewiß und unermeßlich sei. Rasinski suchte, indem er etwas voranritt, die Wahrheit zu erfahren. Sie beschränkte sich darauf, daß der König allerdings mit einigen Kosaken gesprochen und sie beschenkt habe. Sie hatten indessen nur einen Offizier begleitet, der freien Abzug für die Nachhut Kutusows forderte; im Verweigerungsfalle drohten sie, die Stadt hinter sich in Flammen aufgehen zu lassen. Der Kaiser, aufs schleunigste benachrichtigt, willigte ein; man rückte demnach vor und in die Stadt ein.
Während Prinz Eugen und Fürst Poniatowski mit ihren Korps sich zur rechten und linken Seite der Hauptstraße ausbreiteten und die Stadt gewissermaßen umzingelten, folgte Rasinski mit den Seinigen dem Könige von Neapel, der mit Vorsicht einrückte. Es schien unmöglich, daß der Feind gar keinen Widerstand leisten sollte; man mußte im Gegenteil auf heftige Gefechte in den Straßen gefaßt sein.
Jetzt zog man durch die Gassen der Vorstadt. Sie waren leer und öde, gleich den verlassenen Dörfern, deren man so unzählige auf dem Wege bis an dieses ersehnte Ziel getroffen hatte. »Sollten sich die Einwohner so vor uns fürchten,« bemerkte Bernhard gegen Iaromir, der dicht neben ihm ritt, »daß sie auch keine Nasenspitze, nicht einen Zoll ihrer langen Bärte blicken lassen? Sollte denn nicht ein einziges hübsches Kind neugierig genug sein, um die fremden Ankömmlinge aus einem jener kleinen Fenster wenigstens einmal zu begucken? Es ist uns ganz recht, wenn der Feind sich vor uns fürchtet, doch die Mädchen müssen nicht gar zu scheu sein. Sind wir denn Menschenfresser, zum Teufel, oder hält man uns dafür?« – »Ich vermute,« antwortete Ludwig, »daß sich die Bewohner dieser Vorstädte in die Stadt geflüchtet haben. Sie fürchteten vielleicht den ersten Anlauf; es war auch nicht unwahrscheinlich, daß sich hier ein Gefecht entspinnen könnte. Da ist freilich der am schlimmsten daran, der keine Waffen führt.« – »Und zumal hier,« wandte sich Rasinski, der ihr Gespräch gehört hatte, um, »wo die hölzernen Häuser bei der ersten Granate, die man hineinwürfe, wie dürres Stroh hell aufflackern würden.« – »Es wäre ein verwünschter Streich,« warf Jaromir hin, »wenn uns die Winterquartiere abbrennen sollten. Mir deucht, wir könnten die Ruhe von sechs bis sieben Monaten, auf die ich hier hoffe, gebrauchen.«
Rasinski schwieg, doch las man auf seiner Stirn, daß er in Jaromirs Hoffnungen nicht einstimmte. »Das Erwünschteste wäre wohl,« sprach er nach einer Pause, »wenn der Friede sobald als möglich einträte. In diesem Falle, vermute ich, würden wir den Winter nicht hier zubringen, da die Gegenwart des Kaisers und seiner Heere im Mittelpunkte Europas notwendiger ist als hier fast an den Grenzen Asiens.« – Boleslaw ritt ernst und still, wie er pflegte, vor sich hin, ohne sich in das Gespräch zu mischen.
Plötzlich stockte der Zug wieder. Da Rasinski sich nicht an der Spitze desselben befand, konnte er nicht sehen, ob irgendein äußeres Hindernis daran schuld war. Indem er noch seine Blicke nach vorn richtete, kam Oberst Regnard die Gasse herab. Er trug den Arm noch in der Binde und ein breites, schwarzes Pflaster über der Stirn. Seit der Unterredung während der Schlacht hatte ihn Rasinski nicht mehr gesehen. »Guten Abend, Oberst,« rief er ihn an, »Sie kommen von der Spitze der Kolonne her; was hält uns denn wieder auf?«
»Ah, Freund Rasinski, wie geht's?« erwiderte Regnard. »Ich freue mich, euch wohl zu sehen, obwohl ich's schon aus dem Rapport wußte, daß ihr aus dem Schiffbruch zu Mosaisk gerettet seid. – Was uns aufhält? Nichts als eine abgebrochene Brücke über die Moskwa, die sogleich hergestellt sein wird. Aber–« hier winkte er ihm zu und sprach leise mit ihm. Bernhard, der mit seinem scharfen Auge immer durch das Antlitz eines andern bis tief in die Brust desselben hinabsah, bemerkte eine auffallende Bewegung in Rasinskis Zügen. Auch Regnards kaltes, scharf gezeichnetes Gesicht, sonst weniger Veränderungen fähig, weil alle Linien desselben wie in festen Stein geschnitten waren, drückte ein schauerliches Befremden aus. Es mußte irgend etwas von der äußersten Wichtigkeit oder Gefahr sein, was er Rasinski mitzuteilen
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