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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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tiefen Einöde des Todes war so peinlich, daß sie selbst in die Brust des rohesten Kriegers eindrang, der noch keine Ahnung von der furchtbaren Wahrheit hatte.
    Schon zwei Stunden zog man durch diese steinerne Wüste und schien sich immer tiefer und tiefer in den labyrinthischen Irrgängen derselben zu verwickeln. Denn nur langsam rückte man vor, da der König, der noch immer nicht an die Wahrheit glauben wollte, jeden Augenblick eines Überfalls gewärtig war und die Besorgnis noch nicht verbannen konnte, daß man ihn listig in dieses trügerische Netz verworren sich kreuzender Gassen locken wolle, um plötzlich von allen Seiten überfallend hereinzubrechen. Darum sandte er in jede Seitenstraße starke Trupps hinein, die erkunden mußten, ob der Feind nicht irgendwo lauere. Aber man fand niemand. Eine grause Stille herrschte in der ungeheuern Stadt, wo sonst das Gewühl des Verkehrs das Ohr betäuben mußte. Nur den dumpfen Hufschlag der Pferde, das Klirren der Waffen vernahm man, wie es die stummen, hohen Mauern schauerlich zurückwarfen. Sowie der Zug einen Augenblick stockte und hielt, breitete sich die Stille wie ein Leichentuch über die Scharen aus. Denn auch der Soldat war von dem unheimlichen Gefühl tief durchdrungen, und obwohl er in die Hauptstadt des Feindes einrückte, ertönte doch kein Ruf des Sieges, kein Laut der Freude oder des Jubels; sondern ernst, schweigend, indem er nur das erstaunte Auge an den hohen Gebäuden auf- und abwärts schweifen ließ, um eine Spur des Lebens darinnen zu entdecken, zog er in die Herrscherstadt der alten Zaren ein.
    Jetzt stiegen die Mauern und Zinnen des Kreml düster über den Häuptern der Krieger empor. Da zum erstenmal vernahm man, als sei es ein erquickender Laut, ein verworrenes Gemisch von Stimmen und kriegerisches Getümmel. Es war ein Trupp zusammengelaufenen Volks, das sich im schwarzen Gewimmel um einen Zug Wagen drängte, auf denen Lebensmittel und einige Verwundete lagen, die man nicht eilig genug hatte aus der Stadt schaffen können. Etliche Kosaken, zu ihrer Deckung zurückgelassen, flüchteten auf ihren kleinen behenden Rossen und waren bald in den ihnen wohlbekannten Gassen verschwunden, ohne von den nachgesandten Kugeln verletzt zu sein. Doch vom Kreml her, an dessen Toren man in diesem Augenblicke ankam, tönte urplötzlich ein gräßliches Gebrüll heulender Stimmen. Rasinski war, nur von Bernhard begleitet, bei dem Schall der ersten Schüsse vorwärts gesprengt, um zu sehen, was es gab; selbst seine männliche Brust, der Drohungen jeder Gefahr längst gewohnt, erbebte bei diesem grauenvollen Laut. Sein Auge folgt der Richtung, die sein Ohr ihm angibt. Da sieht er auf den Mauern des Kreml eine Anzahl entsetzlicher Gestalten, Männer und Weiber, mit wütenden Gebärden, die den Eingang in die heilige Burg der Zaren verteidigen wollen. Das verworrene, zerraufte Haar der Weiber, der wilde, struppige Bart der Männer, Schmutz, Lumpen, Geheul, gräßliche Verzerrung des Gesichts, plumpe barbarische Waffen, alles dies vollendet das Grauenhafte des Anblicks. »Was? Sendet uns die Hölle ihre scheußlichsten Dämonen entgegen, um uns zu schrecken«, ruft Rasinski aus und stutzt. »Sind das Menschen oder Werwölfe?« fragt Bernhard, gleichfalls schaudernd. Die entsetzliche Schar erhebt aufs neue ihr wildes Geschrei, und Flintenschüsse fallen von der Mauer in den dichten Haufen. Der König von Neapel schwingt ein weißes Tuch als Zeichen der friedlichen Unterhandlung und ruft Rasinski heran, um ihnen zu sagen, daß sie den rasenden, vergeblichen Kampf aufgeben sollen, daß man ihnen kein Übel zufügen will. Rasinski reitet vor; in ihrer Landessprache ruft er ihnen zu: »Hört, vernehmt Worte des Friedens!« Doch ein gräßliches Geheul, wobei die Weiber ihre Brüste schlagen und das Haar raufen, teilt statt der Antwort die Lüfte. Rasinski ruft ihnen noch einmal zu, sich zu ergeben. Da springt ein Weib, kolossal von Gestalt, der das wilde Haar weit über die Schultern herabfällt, auf die Zinne der Mauer: »Hund! Zerfleischen will ich dich mit meinen Zähnen wie eine hungerige Wölfin! Räuber, du sollst zerrissen werden wie der Jäger, der der Bärin das Junge aus der Höhle trägt! Fluch euch Mördern unserer Kinder und Gatten! Fluch euch Verwüstern unserer Städte! Und dreimal Fluch euch ruchloser Brut, die ihr die heiligen Altäre schändet und den Allmächtigen mit verfluchter Zunge lästert. Wehe soll über euch kommen, mehr als über die

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