1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
achtete; denn was sollte mir noch wichtig sein in der Welt! Und doch – aber höre. Die Mutter hatte mir die geheime Lade ihres Schreibtisches als wichtige Papiere enthaltend bezeichnet. O Ludwig, mit welcher Bewegung habe ich sie gelesen! Sobald es auf sichern Wegen möglich ist, sollst Du das ganze Dokument der rührenden Erzählung erhalten; jetzt gebe ich Dir nur den Auszug, den die flüchtigen Minuten mir gestatten. Unser wahrer Name ist nicht Rosen, sondern der Vater hieß Sternfels und war Gutsbesitzer in Franken. Die treueste Freundschaft war sein Unglück. Im März des Jahres 1793 besuchte er einen Jugendfreund, namens Waldheim, der Offizier gewesen, aber von den Franzosen gefangen genommen war und sich zu Straßburg aufhielt, wohin ihm seine Gattin, eine holdselige Frau sondergleichen, wie die Mutter sie schildert, nachgefolgt war. Ein Franzose, Rumigny, beleidigte die junge, reizende Frau durch ehrlose Anträge.« Hier hielt Ludwig einen Augenblick inne, weil Rasinski eben durch eine eintretende Ordonnanz, die ihre Meldungen machte, unterbrochen worden war. Auf einen Wink fuhr er jedoch sogleich fort: »Da sie zurückgewiesen wurden, rächte er sich durch die schwärzesten Verleumdungen. Dies erfuhr der beleidigte Gatte, der sein getreues Weib kannte. Er forderte den Verleumder, zwang ihn zum Duell; unser Vater war Sekundant. Doch der Elende, der sich mit mehreren Begleitern versehen hatte, tat einen Schuß gegen die Gesetze des Duells, der den unglücklichen Waldheim zu Boden streckte. Unser Vater war außer sich; da in dem Augenblick jedoch die Sorge, das Leben des Getroffenen vielleicht noch zu retten, dringender war als das schwer überwundene Gefühl der Rache, konnte er den Täter nicht sogleich züchtigen. Der Freund starb nach wenigen Minuten. Unser Vater forderte den Mörder; dieser verhöhnte ihn. Da überwältigte ihn ein menschliches Gefühl – Ludwig! wer wollte ihn verdammen – er suchte den Elenden auf, um Rache an ihm zu nehmm, oder ihn zum Zweikampf zu zwingen. Sein treuer Diener Willhofen begleitet ihn; doch der Verbrecher ist gewarnt und lockt den Gegner ins Netz. Durch Hohn weiß er ihn zu reizen, der Vater vergißt sich, dringt mit dem Degen auf ihn ein, wird entwaffnet und mit dem treuen Willhofen gefangen. Um sein Opfer gewiß zu verderben, sucht der Verbrecher den Vater als Späher und fremdbesoldeten Verräter gegen Frankreich verdächtig zu machen. Er wird nach Paris gesandt. Die Guillotine bedroht ihn. Doch Willhofen, der alle seine Schicksale teilt, findet in dem Kerkermeister einen Landsmann aus dem Elsaß. Dieser begünstigt ihre Flucht, und beide gelangen glücklich nach dem Havre auf ein holländisches Schiff. Von dort schreibt der Vater erst der Mutter, was alles geschehen ist, und beschwört sie, sofort mit uns nach Hamburg zu gehen, wo er sie treffen will. Sie kommt dahin und erwartet vergeblich die Ankunft des Vaters. Tage und Wochen verstreichen, endlich ist ein Monat vorüber, ohne daß ihre tödliche Ungewißheit sich endet. Indessen erfährt sie, daß durch die schon damals überallhin sich erstreckende Gewalt der französischen Machthaber der Prozeß gegen den Vater als Mörder auch schon in seiner Heimat anhängig gemacht ist, daß man ihn auffordert, sich dem Gerichte zu stellen. Was soll ich Dir noch alles sagen? Der Vater ist niemals mehr wiedergekehrt; seine Güter wurden eingezogen, und als die Franzosen Franken besetzten, sein Name geächtet, weil er sich in den Polizeilisten von Paris unter der Zahl der Hochverräter fand. Dies bewog die Mutter, den Namen Rosen anzunehmen und sich mit uns nach Dresden zurückzuziehen, wo unsere Tante, ihre Schwester, bereits als Witwe wohnte. Noch tausend Umstände hätte ich Dir zu melden, teurer Bruder, wenn es in diesem dringenden Augenblicke möglich wäre. Vor allem die unendlich rührenden Gründe der Liebe und Besorgnis, welche nebst manchen andern wichtigen Bedenken unsere Mutter bestimmten, ihre Kinder nicht zu Mitwissern des Geheimnisses, zu machen, das um das Haupt des Vaters schwebte. Doch es wird ja ein Tag kommen, wo die Schwesterbrust sich einmal wieder ganz frei und ungehindert gegen Dich ergießen kann. Jetzt stürmt und dringt freilich alles auf uns ein! In der nächsten Viertelstunde schon reise ich mit der Gräfin Micielska nach Warschau ab, wo ich ganz sicher gegen jede Verfolgung sein werde. O wärest auch Du es nur! Aber Dich bedroht das Unheil des Krieges im Antlitz und schwarzer Verrat im Rücken!
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