1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Brust. Plötzlich lachte er wild und ingrimmig auf. »Es ist nichts, sage ich, nichts. Eine der riesenhaftesten Albernheiten des Zufalls, über die man aber freilich verrückt werden könnte! Ich glaube, das Schicksal will sich an mir rächen. Ich war ungläubig gegen seine Wunder in diesem nüchternen Leben, nun verhöhnt es mich damit – aber doch fast zu grausam! O« – er drückte sich die Faust vor die Stirn – »wer mir nur dies eine Mal sagen könnte, ob mich die grinsenden Larven eines Traumes quälen, oder ob die Wirklichkeit mir diese höhnischen Gesichter schneidet. Packt mich doch an in Teufels Namen, und schüttelt mich wach, wenn mir der Alp das Herz zerdrücken will!«
»Bernhard, lieber Bernhard,« drang Ludwig in ihn, indem er seine Hand ergriff, »was hast du? Fasse dich, komm zu dir selbst; o sprich, was dich so grauenhaft erschüttert!« Wie jemand, der aus den bewußtlosen Zuckungen eines Krampfes ins Leben zurückkehrt und nun, todesmatt, kaum noch die Augenlider offen halten kann, sank Bernhard jetzt an der Brust des Freundes zusammen, so daß Rasinski ihn unterstützen mußte. »Laßt mir's allein, Freunde!« sprach er matt. »Ihr liebt mich, es muß euch ebenso treffen. Warum soll es mehr als eine Brust zermalmen? Und wenn alles nur ein leeres Spiel wäre! ein Nichts, ein weniger als Nichts, was diese Qualen in mein Herz geworfen hat! Jetzt weiß ich, daß es auch unwirkliche Dinge gibt, vor denen eine Männerbrust zusammenbrechen muß, daß man an entsetzlichen Träumen sterben kann.«
Drittes Kapitel.
Jaromir und Boleslaw waren für diesen ersten Abend in Moskau von ihren Freunden getrennt, da ihre Aufsicht bei den Truppen unerläßlich schien. Als jedoch die Biwaksfeuer loderten, der Soldat sich leidlich eingerichtet hatte und durch Rasinskis Fürsorge auch mit Speise und Trank hinlänglich versehen war, mochte es den einzelnen Führern wohl gestattet sein, sich auf kurze Zeit von ihren Posten zu entfernen und sich durch Kameraden vertreten zu lassen. Dies tat auch Jaromir. Denn bei seinem frischen, lebenslustigen Sinne, bei seiner noch jugendlichen Regsamkeit, war, so manches er auch erlebt und erfahren hatte, der Einzug in eine neue, berühmte Hauptstadt doch ein Ereignis für ihn, das ihn nach vielerlei Richtungen reizte und bewegte. Mit Staunen hatte er die Paläste, die langen unendlichen Gassen, die weiten Plätze betrachtet; der Kreml mit seinen Türmen und Zinnen machte fast den Eindruck eines Zauberschlosses auf ihn. Er hatte Lust, durch die Gassen zu streifen, die Biwaks der Kameraden zu besuchen, mit ihnen zu schwatzen und zu plaudern, kurz, nach langen Anstrengungen einmal die Freude des kriegerischen Müßiggangs zu genießen. Boleslaw sah es ihm an, und wohlwollend wie er war, erbot er sich, ohne erst Jaromirs Bitte zu erwarten, den Dienst für ihn zu übernehmen. Mit zwei Offizieren von dem leichten Infanteriebataillon, das Rasinski für den Augenblick beigegeben war, ging er, als es schon ein wenig zu dämmern begann, Arm in Arm vergnügt die Gassen hinunter, um einen Spaziergang durch die wunderbare Stadt zu machen.
»Hier diese beiden Türme mit ihren goldenen Kuppeln müssen wir im Auge behalten,« sprach er zu seinen Begleitern; »nach ihnen finden wir uns schon wieder zurecht, selbst wenn es völlig dunkel würde, denn an dem ausgeschweiften Knopf spiegeln sich die Feuer von unten herauf hell genug, um sie ziemlich weit durch die Nacht zu sehen.« Lebrun und Lacoste, so hießen seine beiden Begleiter, waren, gleich Jaromir, froh und guter Dinge. »Marlborough s'en va en guerre«, sang Lebrun mit angenehmer Stimme und leicht graziösem Vortrag vor sich hin, und die beiden andern stimmten mit ein. Sie gelangten durch einige Gassen, in denen ihnen ein schwerer Artillerietroß begegnete, an den Kreml. Hier waren große Biwaks aufgeschlagen. Die Junge Garde hatte sich diesen Platz zur Lagerstätte erwählt.
Lange Reihen zusammengesetzter Gewehrpyramiden leuchteten prächtig im Widerschein der Feuer, die man entlang der Gassen angezündet hatte. Wie der Soldat sein Lager immer kriegerisch schmückt, so hatte man auch hier vor jedem Bataillon eine Trophäe von Trommeln und Adlern aufgerichtet. An den Stellen, wo lange Straßen sich öffneten, standen Kanonen; sie waren abgeprotzt, die brennenden Lunten dahinter in den Boden gepflanzt. Um die Leute zu erheitern, hörte man von verschiedenen Seiten her kriegerische Musik. Doch nur wenige waren noch so bei Kräften und
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