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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Teufel ihn mit Nebendingen scheren und placken. Man verläßt sich auch etwas auf Glück und den Himmel; wenn alles Gefährliche in der Welt schlecht ausschlüge, da möchte der Henker Soldat sein. Unser ganzer Trost sind ja die Kugeln, die nicht treffen.«
    In diesem Gespräch war man weitergeschlendert. Kein Schritt, der nicht ein Bild für die Hand eines geschickten Malers dargeboten hätte. Hier ein alter Krieger, der da schlief, als wollte er erst bei der Posaune des Gerichts wieder erwachen, und es nicht bemerkte, daß seine Stiefelsohlen sich schon am Feuer sengten, so daß Jaromir ihn gutmütig auf die Seite schob, damit der arme Teufel nicht am Ende barfuß laufen müßte. Dort eine Marketenderin, die, von einem Schwarm lustiger Soldaten umringt, Frauengewandtheit mit dem Stolz auf die Redlichkeit ihres Handels verbindend, Unzähligen zugleich zu genügen wußte. Weiterhin fröhliche Spiele, Lieder, Tanz. Dicht daneben eine Gruppe behaglich schwatzender Graubärte, die mehr Narben als Haare auf dem Scheitel hatten. Ein Kranker, der mißmutig, mit verbundenem Haupte, in den Mantel gewickelt auf dem Stroh lag. Ein Pfeifer, der sich malerisch als Sansculotte auf eine Trommel gesetzt hatte, weil er als sein eigener Schneider sein einziges Paar Hosen flickte. Sogar eine Mutter mit einem zweijährigen Knaben sah man, am Feuer sitzend, mit dem Kinde schäkern. Es war der einzige süße Lohn für eine Treue und Liebe, die ihr den Mut gegeben hatte, diese unermeßliche Weite blutgedüngter Steppen zu durchwandern.
    Indem Jaromir sich durch einen dichtern Haufen Soldaten Bahn zu machen suchte, die einen mit Reis beladenen Wagen, wo sie ihre Ration empfangen sollten, gedrängt umstanden, zupfte ihn jemand am Kleide. Er sah sich um; es war ein zierlich gekleideter Jockei, ein Knabe, wie es schien, von etwa fünfzehn Jahren, dessen Anwesenheit im Lager auffallen mußte. Ein englischer Hut mit breit überstehender Krempe und mit einer schwarzen Feder schmückte das Haupt, verdeckte aber das Antlitz zur Hälfte. »Was willst du, Knabe?« fragte Jaromir verwundert. Der Kleine bückte sich ein wenig, wie verschämt, und sprach: »Ich soll euch bitten, mir zu folgen!«
    Jaromirs Verwunderung nahm zu, als er den schönen Knaben aufmerksamer betrachtete; die Dämmerung, der rote Schimmer der Wachtfeuer und der tiefe Schlagschatten des Hutes gaben dem Gesichte einen ganz eigentümlichen, romantischen Reiz. Die Züge erregten lebhafte Erinnerungen in Jaromir auf, denen er jedoch keinen bestimmten Gegenstand anzupassen wußte; »allein er mußte den Knaben irgendwo schon gesehen haben. »Folgen?« fragte er, »gern; aber wohin?« – »Nur mir nach«, sprach der Kleine schon halb umgewendet und suchte dem Gedränge zu entkommen. Jaromir, höchst gespannt und gereizt, eilte ihm nach, besorgt, ihn in dem Getümmel aus den Augen zu verlieren.
    Rasch wandte sich der behende Führer in eine dunkle, schmale Seitengasse, durch die sie bald einen freiern Platz erreichten. Da stand plötzlich der Kreml mit seinen in der tiefen Dämmerung schwarz und riesenhaft emporsteigenden Türmen und Mauern vor ihnen; im letzten Abendschimmer leuchtend, glühte das goldene Kreuz des heiligen Iwan auf der Spitze der Metropolitanlirche, hoch in den blauen Räumen des Himmels. Obgleich Jaromir durch das seltsame Abenteuer, das eben für ihn zu beginnen schien, sehr gespannt war, und seine Seele sich ganz mit Gedanken und Vermutungen erfüllte, die ihn von den äußern Erscheinungen völlig abzogen, so machte doch dieser unvermutete, großartige Anblick einen mächtigen Eindruck auf ihn. Unwillkürlich stand er einen Augenblick still und staunte gegen die Höhe hinan. Sein Führer jedoch, der ihm stets einige Schritte vorausgeblieben war, sah sich wie antreibend nach ihm um und winkte ihm mit der Hand nicht zu zögern. Sie kamen an das Portal eines prächtigen Palastes; der Knabe trat in die Pforte und wartete, bis Jaromir ihm folgte. Dann ergriff er dessen Hand und sprach: »Hier muß ich euch aufmerksamer führen, denn ihr würdet euch nicht zurecht finden.«
    In der Tat war die weite Vorhalle des Hauses durch eine Lampe, die in einer Ecke auf einem Tische stand, fast so gut als gar nicht beleuchtet. Kaum, daß man die breiten Treppen, die zu dem obern Stockwerke führten, erkennen konnte. Jaromir stutzte; sollte er weiter folgen, in der fremden Stadt, in dem öden Hause? Er war nicht furchtsam, doch er trug Bedenken, sich dem Führer ferner

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