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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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hinaus und hinein konnte. An der Stelle, wo Rasinski auf die Gestalt geschossen hatte, befand sich keine Tür; es war diejenige Ecke der Rück- und Seitenwand des Kabinetts, welche nicht an die Seite des Saals, sondern an die der übrigen Gemächer stieß. Aufmerksam beleuchtete Rasinski die Tapeten. »Da sitzt mein Schuß!« rief er und zeigte auf eine verletzte Stelle, wo die Kugel eingedrungen war und noch in der Mauer steckte. »Also habe ich mich nicht getäuscht! Hier muß eine geheime Tür befindlich sein.« Neugierig traten die Leute umher; Ludwigs Herz schlug in sehnsuchtsvoller Erwartung. Da fiel es ihm plötzlich wieder ein, daß nun alles Wahrheit sein konnte, was er zu träumen geglaubt hatte. »Nimm dies zum Andenken!« waren die Worte der Erscheinung gewesen. Schnell ergriff er ein Licht und eilte in sein Gemach zurück. Sein erster Blick fiel auf das Ruhebett; er entdeckte nichts; doch als er sich jetzt auch in den übrigen Teilen des Zimmers umsah, erblickte er am Boden in der Nähe des Fensters ein weißes Tuch. Er hob es empor; es war ein Schleier. Wie das Gewebe leicht über seine Hand hinstreifte, erkannte er plötzlich dieselbe Empfindung wieder, die ihn zuvor so seltsam getroffen hatte; der Schleier mußte sein Antlitz bedeckt haben. Er entfaltete ihn; das Ende war durch eine Art von Ring geschlungen; hastig streifte er das Gewebe los, glänzendes Gold wurde sichtbar, ein grüner Stein schimmerte ihm entgegen. »Gnadenreicher Gott, ist es möglich!« rief er aus, und heiße Tränen stürzten ihm über das Antlitz. Er hielt dasselbe Armband in den Händen, welches die Geliebte am Fuße des St. Bernhard verloren hatte; dasselbe teuere Kleinod, dem er zuerst verdankte, ihr in das holdselige Antlitz zu blicken. Außer sich wollte er eben zu Rasinski hinüberstürzen, als er ein in den Falten des Schleiers festgestecktes Blatt bemerkte. Mit zitternder Hast zog er die goldene Nadel, die es befestigte, heraus und entfaltete es. Unter gewaltsam hervordringenden Tränen las er die Worte: »Sie waren einst mein Retter aus dringender Gefahr! Sie beschirmten mich mit brüderlicher Treue. Wer vermag die wunderbaren Fügungen der Vorsehung zu bezeichnen, die uns damals zusammenführten und trennten, und jetzt wieder nahe bringen und für ewig scheiden! Doch die Minuten drängen. Verlassen Sie dieses Haus, schnell, augenblicklich! Es droht Ihnen die äußerste Gefahr! Der Schlund des Verderbens gähnt unter Ihren Füßen auf, der Boden, auf den Sie treten, ist nur die leichte Decke eines furchtbaren Abgrundes. Ein Augenblick zu spät, und sie bricht ein! – Mehr darf ich nicht enthüllen. – Ach, schon das gilt für ein schweres Verbrechen! Doch ein höheres Gesetz der Dankbarkeit gebot mir, es zu begehen. Die Zukunft ist düster verhüllt, die Wogen meines Lebens in Sturm gehoben. Welches auch mein Schicksal sei, mit schwesterlicher Treue wird mein Herz das Andenken des edeln Freundes bewahren! Bianka.«
    Ludwig stand, seiner Sinne kaum noch mächtig, und heftete das Auge auf das Blatt, als Rasinski eintrat. »Wo bleibst du?« fragte er. »Wir haben eine Tür entdeckt; eben lasse ich eine Axt holen, sie zu öffnen, denn wir müssen notwendig Licht in der Sache haben. Ist aber Bernhard noch nicht zurückgekehrt? – – Was hast du? Was ist dir?« fragte er erstaunt, als Ludwig bewegungslos vor ihm stand und ihm nur das Blatt hinreichte. Rasinski durchflog es mit raschen Blicken. »Ich glaube, hier sind höhere Mächte im Spiel,« rief er aus, als er gelesen; »nie ist mir ein wunderbareres Ereignis begegnet. Aber Gefahr? Welche Gefahr droht uns? Wörtlich ist doch die Stelle nicht zu verstehen? Wir müssen der Geheimnisvollen nachdringen. Komm und laß uns das Abenteuer gemeinsam wagen!«
    Ludwig ließ sich von Rasinski fortreißen. In seinem Zimmer fanden sich schon die Reitknechte mit einer Axt beschäftigt, die entdeckte Tür zu öffnen. Nach wenigen Schlägen war es geschehen. »Jetzt entschlossen, doch vorsichtig«, sprach Rasinski; er ergriff mit der Linken ein Licht, mit der Rechten ein Pistol und schritt voran. Man befand sich in einem schmalen, niedrigen Korridor, der nur eben Breite und Höhe für einen einzigen Mann hatte. Es schien, als sei derselbe in der Mauer selbst angebracht und laufe parallel mit dem breiten äußern Korridor; doch senkte er sich merklich, ja an einigen Stellen fast steil. »Mir deucht, es riecht hier so brandig und nach Schwefel«, sprach Rasinski, nachdem sie etwa

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