1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
mühsam.
»Darf ich Ihnen meinen Arm leihen? Oder befehlen Sie, daß ich einen Wagen besorge?« fragte der Rittmeister dienstfertig. – »Wenn Sie mich unterstützen wollen, werde ich es Ihnen sehr danken; ich bin in der Tat aufs äußerste ermattet.« Arnheim gab ihr den Arm. Von der andern Seite lehnte sie sich auf das Mädchen und ließ sich so nach dem Palast der Gräfin zurückführen. Glücklicherweise hatte Lodoiskas Ohnmacht nur eine Minute gewährt, und die Aufmerksamkeit der Leute auf der Straße war in diesem Augenblicke so sehr auf die Bewegungen im Hotel des Gesandten gerichtet gewesen, daß der Vorfall ganz unbemerkt vorüberging. Man schlug jetzt eine menschenleere Seitengasse ein, und so gelangte die Geleitete trotz ihres schwachen, zitternden Ganges an den Palast der Gräfin, ohne daß die Neugier lästiger Zuschauer ihr folgte.
Für den Rittmeister war es nicht schwer, sich die Ursache des heftigen Schrecks, der Lodoiska ergriffen hatte, allgemeinhin zu erklären. Denn wer hatte nicht einen Freund, einen Bruder, einen Vater bei dem Heere? Indessen dachte er zart genug, um nicht näher zu forschen, und suchte auch den schreckenvollen Eindruck der ersten Nachricht durch mildernde Zusätze zu mäßigen. Als man an der Pforte des Hauses stand, sprach Lodoiska: »Ich danke Ihnen herzlich für Ihre hilfreiche Teilnahme; gewiß müßte ich Sie bitten, mir noch weiter zu folgen. Doch –« Arnheim ließ sie nicht weiterreden. Er fiel mit Wärme ein: »Diese ersten Stunden der Aufregung gehören der Einsamkeit; der wohlmeinendste Fremde könnte nur störend erscheinen. Doch versagen Sie mir es wohl nicht, zu einer günstigern Zeit zu kommen.« Lodoiska sah ihn mit einem dankbaren Blicke an: »Es würde mir sehr weh tun, wenn wir Sie nicht sehen sollten; ich hoffe, wir werden Sie dann froher willkommen heißen können.«
Mit diesen Worten reichte sie ihm die Hand zum Abschiede und trat dann rasch umgewendet, weil sie ihre Angst nicht mehr beherrschen konnte, ein. Mühsam erreichte sie die stillen Gartenzimmer. Marie war die erste, die ihr begegnete. »Leihe mir deine Stärke, Marie,« rief sie ihr zu und breitete die Arme aus, »leihe mir deine Kraft, Teuerste, daß ich die Todesangst ertrage, bis wir Nachricht haben!«
»Um des Himmels willen, was ist geschehen?« rief Marie erschreckt, indem sie die Freundin, die sich atemlos an ihre Brust warf, sanft umschloß. Lodoiska vermochte eine Zeitlang nicht zu sprechen; Marie hörte nur das laute Pochen ihres Herzens. Sie führte die halb Hinsinkende auf das Sofa. Dort erst begann sie nach einigen Minuten in heftigster Bewegung: »Eine Schlacht ist geliefert – 70000 Tote und Verstümmelte bedeckten das Gefilde. Das gräßliche Bild dieses unendlichen Jammers kann mich wahnsinnig machen! – Ach Marie! – Ich sehe nichts als Blut und das blasse, stumme Antlitz der Toten!« –
Die Gräfin trat ein. Sie hatte schon durch das Kammermädchen erfahren, was geschehen war. Bei ihr überwog das Gefühl des Sieges die Besorgnis um die Ihrigen. Freundlich, aber ruhig trat sie auf die geängstete Lodoiska zu und sprach: »Komm an mein Herz, liebste Tochter; weine dich an der Brust deiner Mutter aus. Dann wirst du ruhiger werden und mit Fassung die fernern Nachrichten erwarten, die uns ja bald zukommen müssen.« Das Beispiel der Festigkeit, verbunden mit der sanften Teilnahme, welche ihre mütterliche Pflegerin zeigte, richtete den Mut der Verzagenden wunderbar auf. Mariens freundliche Liebkosungen, die die eigene Angst um den Bruder sorgfältig verbarg, und die Kraft dazu eben aus Lodoiskas Schwäche schöpfte, vollendeten ihre Beruhigung, soweit dies jetzo möglich war.
Nach einigen Minuten trat ein Diener ein und meldete, Rittmeister Arnheim bitte dringend um die Erlaubnis, vorgelassen zu werden, er bringe glückliche Botschaft. Erst jetzt erfuhr Marie, angenehm überrascht, doch ein wenig verlegen, die Anwesenheit dieses Bekannten aus der Heimat, dessen große Aufmerksamkeit für sie ihr nicht entgangen sein konnte. Lodoiska, nur mit dem für sie so ängstigenden Ereignis beschäftigt, hatte bisher dessen noch gar nicht gedacht. Die Gräfin wußte durch das Mädchen nichts weiter, als daß ein fremder Offizier Lodoiska unterstützt und geleitet habe. »Sehr willkommen!« sprach sie und winkte dem Diener.
Lodoiska war in größter Spannung, denn ohne eine dringende Veranlassung, und wie alles andeutete auch nicht ohne eine glückliche, konnte sich der
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