1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
»es sind Empfindungen, von denen es sich seit lange entwöhnt hatte. Wie sehr danke ich Ihnen für diese Nachricht. Wie richten Sie den schon gebrochenen Mut in mir auf! Und Sie gehören zu diesem Bunde?« fragte sie nach einigen Augenblicken. – »Seit zwei Wochen erst, wo würdige Männer in Preußen mich dazu bewährt fanden«, erwiderte Arnheim. – »Nehmen Sie auch mich darin auf, als ein stummes, aber nicht minder treues Mitglied«, sprach Marie und reichte ihm die Hand. »In meinem Herzen gehörte ich einem solchen Bündnis längst an!« Arnheim ergriff Mariens Hand. Er küßte sie nicht, aber drückte sie mit Wärme. Ein wunderbares Gefühl beklemmte ihm die Brust. Marie stand so holdselig vor ihm, ihr blaues Auge blickte ihn so treu und offen an – o sie war schön und gut, und besser als schön! »Wie nennen Sie den schönen Bund, dem ich im stillen angehören will?« sprach sie, als erbebend schwieg; »ich habe aber nur gefragt, wenn Sie mir antworten dürfen.«
»Er führt einen würdigen, vielleicht zu stolzen Namen. Doch ist er nur von dem Wollen, nicht von dem Vollbringen der Bundesbrüder zu verstehen, er heißt der Tugendbund .«
In diesem Augenblicke zogen die letzten Gewölke vor der Sonne vorüber und ihr heller Strahl fiel rein, glänzend auf die Sprechenden. Zugleich erhob sich ein hehres Rauschen in den herbstlichen Wipfeln, als ob edle Geister auf mächtigen Fittichen vorüberschwebten. Der Wolkenschleier teilte sich weit; das Licht quoll aus dem blauen Raume herab und verbreitete sich, wie eine goldene Welle, über den Rasen und die stolz sich wiegenden Kronen der Bäume. »Das ist die Nähe des Allmächtigen, es ist sein glückverheißender Wink, das Zeichen seiner segnenden Bestätigung!« rief Marie begeistert aus und richtete das verklärte Auge gegen die Wölbung des Himmels hinauf, deren tiefes, reines Blau klar über dem zerfließenden Gewölk stand. »Was mich auch Bitteres treffe, welche Prüfungen du mir sendest, an dieses Zeichen will ich mich halten. Das soll mir glänzen weithin durch dunkle Tage, die dein Wille mich führt.« So sprach sie in der Fülle ihres heiligen Vertrauens.
Arnheim stand mit tiefer Ehrfurcht vor ihr. In seiner Brust regten sich mächtige Gefühle für sie, doch er empfand es ahnend, daß ihr Herz, welches sich so frei, so ganz dem großen vaterländischen Gefühl hingab, nur von dieser höhern Flamme, nicht von der stillern der Liebe erfüllt werde. Schmerzvoll getroffen schwieg er. Das nahe Bild der Geliebten, das er schon zu umfassen wähnte, zerfloß, aber eine höhere, edlere Gestalt schwebte vor ihm und blickte ihn aus lichter Höhe an. Nicht eine Braut wagte er ans Herz zu schließen, zu einer Heiligen erhob sich sein Blick. Denn so stand sie jetzt vor ihm. Mit seiner geadelten Empfindung wuchs der sehnsuchtsvolle Schmerz in seiner Brust, aber zugleich auch die Kraft, ihm zu gebieten. »Wohl,« sprach er männlich gefaßt, »Sie haben recht. Diese große Hoffnung muß uns wie die Flamme des Leuchtturms als festes Ziel mitten in der dunkeln stürmischen Nacht des Lebens leuchten. Auch der Schiffbrüchige darf noch den letzten Blick darauf wenden, und, wenn er edel zu denken weiß, den Trost mitnehmen, daß, durch sie geleitet, andere den Hafen des Glücks, der Freiheit, des Friedens erreichen werden, vor dem er scheiterte.«
»Ich glaube, die Gräfin erwartet uns,« sprach Marie, die ihr weites Zurückbleiben erst jetzt mit einiger Verlegenheit bemerkte; »wir sind wirklich ganz zurückgeblieben.« Mit diesen Worten ging sie schneller vorwärts.
Die Gräfin entdeckte die Bewegung beider sogleich; doch mit wahrhaftem Zartgefühl verriet sie dies auch nicht durch ein Lächeln, nicht durch einen Blick, sondern schien das Zurückbleiben, als rein zufällig, nicht einmal der Bemerkung wert zu achten. »Der Himmel ist gefällig für unsern Spaziergang«, bemerkte sie, wie soeben die Sonne plötzlich durch das Gewölk brach. Es gab einige Augenblicke lang die schönste Beleuchtung des Parks. Die Wolkenschatten flohen überhin und der Strom des Lichts eilte verfolgend nach. »Dieser Wechsel in der Beleuchtung macht mir den Herbst, ich meine die Herbstlandschaften, so lieb.« – »Er gleicht allerdings einem Trauerspiele im vierten Akt«, erwiderte Arnheim, indem er seine Gemütsbewegung durch einen leichten Ton der Unterhaltung zu verbergen suchte. – »Wieso das?« fragte die Gräfin. – »Je nun, dort beginnen die glücklichen Verhältnisse
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